7. Etappe, von Miomo nach Pino

Freitag 3.6.88 

Korsika ist eine sehr schöne Insel, ja, aber auch einsam, unwegsam und wild, besonders im nördlichen Teil, der Gegend um das Cap Corse. Die Landschaft wird dominiert von der immergrün wuchernden Macchia, einem undurchdringlichen Buschwald, durchzogen mit unerwartet vielen Flüssen, Bächen und Rinnsalen. 

nordcap

Der französische Romancier 'Guy de Maupassant' liefert in seinem Roman 'Histoire Corse' eine sehr anschauliche Schilderung dieses stacheligen Hartlaubfilzes. Seine Beschreibung hat bis heute, nach gut hundert Jahren, nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Für Freunde der französischen Sprache hier ein Auszug und mein Versuch einer Übersetzung des selben: 

Das beißende Parfum der aromatischen Pflanzen, die die Insel bedecken, erfüllte die Luft, schien sie schwerer, fühlbar zu machen; und die Straße führte, langsam ansteigend, mitten hinein in die große Auffaltung der mächtigen Berge. Manchmal, in den steilen Hängen, bemerkte ich etwas Graues, wie einen Haufen Steine, die vom Gipfel gefallen waren. Das war ein Dorf, ein kleines Dorf aus Granit, da hineingehängt, angeklammert wie ein echtes Vogelnest, beinahe unsichtbar in dem endlosen Gebirge. Aus der Ferne erscheinen die enormen Kastanienwälder wie Sträucher, so gigantisch sind die Wellen der aufgeworfenen Erde in dieser Landschaft. Und die Macchia bedeckte die Rücken der Hänge, denen ich mich näherte, mit einem unentwirrbaren Vlies; die Macchia, gebildet aus Korkeichen und Wacholder, aus Erdbeer- und Pistazienbäumen, aus Alaternen, Heidekraut und Lorbeer-Thymian, aus Myrten und Buchsbaum, unter sich verknüpft, wie Haare kreuz und quer vermengt durch die verschlungene Klematis, monströse Farne, das Geißblatt, Rosmarin, Lavendel und Brombeersträucher ! (uff!!!) Und ständig, oberhalb dieses kriechenden Grüns, die grauen, rosafarbenen oder bläulichen Granitfelsen der hohen Gipfel, die aussehen als wollten sie sich in den Himmel erheben. 

Village

Ich sitze auf der Terrasse meines geräumigen Ferienappartements, inmitten dieses wild wuchernden Buschwaldes, und genieße den Blick auf das Meer und den dazugehörigen Sonnenuntergang. 

Sonnenuntergang

Bei einem guten Tropfen lasse ich die heutige Etappe vor meinem geistigen Auge noch einmal Revue passieren. 

So gegen 9 Uhr verabschiedete ich mich von meinen österreichischen Nachbarn. Sie hatten es nicht eilig, denn sie wollten heute erst mit einer leichten Auflockerungstour beginnen. Ich hatte gut geschlafen und ausgiebig gefrühstückt. Voller Tatendrang machte ich mich auf den Weg. Schon bald lernte ich eine Eigenart korsischer Küstenstraßen kennen. Sie führen fast immer auf halber Höhe, vorwiegend einige hundert Meter über dem Meer, die Küste entlang und bieten meist herrliche Ausblicke auf Buchten und Strände. Ist jedoch ein Fluss oder Bach zu überqueren, so geschieht dies stets unmittelbar vor der Mündung, also auf Meeresniveau. Auf dem Weg zum Cap Corse, der Nordspitze der Insel, sind dem Meer zustrebenden Flussläufe nicht gerade eine Seltenheit. Entsprechend abwechslungsreich und für einen Radler aber auch anstrengend ist das Höhenprofil der Straße. Dennoch war die Fahrt ein reines Vergnügen. Es war warm und beinahe windstill. Ein Wetter wie zum Radfahren geschaffen! 

In 'Erbalunga' deckte ich mich mit Proviant für den Lunch ein. Mittagspause machte ich dann in der Nähe der 'Marine de Sisco' in den Klippen, direkt am Meer. Baden war an dieser Stelle nicht ganz einfach. Durch einen kühnen Sprung konnte ich mich zwar von einer Klippe mühelos in das begehrte Nass stürzen, das Wiederherauskommen bereitete aber wegen der scharfkantig ausgewaschenen Oberfläche der Felsen erhebliche Schwierigkeiten.

Über die Marinen von Pietracorbara, Porticciolo, Luri und Meria führte mein Weg bis Macinaggio immer die Küste entlang. Die herrliche Aussicht zwang mich immer wieder anzuhalten um zu fotografieren. In Macinaggio verlässt die D80 die Küste und führt über die Pässe 'Col de St. Nicolas' (303 m) und 'Col de Serra' (365 m) hinüber zur Westseite des Caps. Die Steigungen nehmen zu, bis zu 10%. 

Doch was für eine Landschaft! Ringsum, eine beinahe bis in die kahlen Gipfel mit Macchia überzogene Bergwelt! Eine immergrüne, atemberaubend attraktive Einöde! Manchmal geben die Täler den Blick frei auf die 'Ile de la Giraglia', eine dem Cap im Norden vorgelagerte kleine Felsinsel. Und in der Ferne verschmilzt das Blau des Meeres mit dem des Himmels. Einfach umwerfend! 

Am Nordkap

Es kamen noch zwei kleine Ortschaften, Mosiglia und Pruno, dann hatte ich es geschafft. Vor mir, tief unten, lag ausgebreitet wie auf einer Landkarte, die Westküste mit ihren unzähligen Buchten und Einschnitten und in die Hänge gesprenkelten kleinen Dörfern. Ein unvergesslicher Anblick! 

Cap nord, Westküste

Und weiter ging es auf der D80, jetzt nach Süden. So gegen 19 Uhr befinde ich mich in der unangenehmen Situation weder einen Campingplatz noch ein Hotel in erreichbarer Nähe zu haben. Ich beginne schon, mich gedanklich mit einer wilden Campingnacht abzufinden, obwohl dies auf der Insel verboten ist. An besonders zum Campen geeignet erscheinenden Plätzen wird durch entsprechende Verbotsschilder immer wieder daran erinnert. (Camping sauvage interdit!) In dem 5 Häuserort Pino suche ich eine unmittelbar an der Straße gelegene Bar auf. Ich bestellte ein Bier und schilderte dem Patron mein Problem. Dieser griff zum Telefonhörer, wählte eine kurze Nummer, redete etwa eine Minute lang auf jemanden ein, und ich war Mieter einer Ferienwohnung. Nach kurzer Zeit hielt ein Auto vor der Bar und eine Dame mittleren Alters forderte mich auf ihr nachzufahren. Über Feldwege und Eselspfade folgte ich ihr zu einem kleinen abgelegenen Haus mitten im Grünen. Ich zahlte die vereinbarte Miete von 200 FF und sie gab mir dafür den Hausschlüssel. Ich möge mich an den vorhandenen Lebensmitteln bedienen und den Schlüssel am nächsten Morgen in den Geranientopf vor dem Haus legen. Die Sonne ist inzwischen im Meer versunken und die Oberfläche des Wassers nimmt allmählich einen silbrigen Glanz an. Ich bleibe noch eine Weile auf der Terrasse sitzen, warte bis das letzte Licht verschwunden ist und ziehe mich dann in mein 200 FF Appartement zurück.

Navigation

Google maps