6. Etappe, von La Mure nach Veynes

Mittwoch 30. Mai 

Reisen, sagt man, diene unter anderem dem Zweck Land und Leute besser kennen zu lernen. Land in Form von Landschaft hatte ich bisher im Überfluss. Letztere zog tagsüber unaufhörlich, mal langsam, mal etwas schneller, an mir vorbei. (Alles relativ, Einstein!) Mit den Leuten verhält es sich naturgemäß anders. Man muss sie aufsuchen. Und wo trifft man in einem Ort wie La Mure auf Leute? Gestern Abend, nach einem Zug durch die Gemeinde, versuchte ich es, auf dem Heimweg zum Hotel, in einer Kneipe. 

Vor einem ziemlich langen Tresen stehen ordentlich ausgerichtet eine Reihe von Barhockern. Ich bin der einzige Gast und platziere mich in der Mitte. Hinter der Theke, zwei Damen mittleren Alters, beide nicht unattraktiv. Eine poliert Gläser, die andere sieht mich fragend an. Ich bestelle ein Bier. Schweigen. Das Bier ist angenehm kühl. Ich sorge dafür, dass es nicht verdunstet und versuche ins Gespräch zu kommen. "Tres calme, ce soir, hm?" Antwort: Schulterzucken ... "C'est mercredi!" Langes Schweigen. Ich bestelle ein zweites Bier. Allmählich kommt eine Art 'small talk' zustande. Bin immer noch der einzige Gast. Die Konversation kommt immer wieder ins Stocken. Meine Sprachkenntnisse lassen doch zu wünschen übrig. Ausserdem kommen mir Zweifel, ob das hier der richtige Ort ist um sich in Geselligkeit zu üben. Ich genehmige mir noch ein drittes Bierchen, weil ich nun schon mal hier bin. Die Sache mit dem 'Leute-besser-kennen-lernen' ist gar nicht so einfach. Ernüchtert mache ich mich, nicht mehr ganz nüchtern, schließlich auf den Weg zurück ins Hotel. 

Um meine Ernüchterung komplett zu machen, wäre ich dann, dort angekommen, beinahe auch noch aus dem Fenster gestürzt. Und das ohne Fremdeinwirkung! Das Zimmer lag im ersten Stock und hatte einen sogenannten 'französischen Balkon', d.h. einen kleinen, nur wenige Zentimeter tiefen Vorbau, der mit einem halbhohen Metallgitter versehen war. Im Zimmer, vor den Flügeltüren zu diesem Pseudobalkon, gab es eine kleine Stufe, etwa 5 cm hoch und 40 cm tief. Sie sollte mir zum Verhängnis werden. Rückwärts über dieses kleine Hindernis stolpernd, verlor ich mein ohnehin etwas labiles Gleichgewicht und knallte gegen das Fensterkreuz. Dabei durchschlug ich mit dem linken Ellbogen eine der beiden Scheiben. Die Scherben landeten klirrend auf dem Trottoir, wo sich zu so später Abendstunde glücklicherweise niemand aufhielt, der zu Schaden hätte kommen können. Das Ganze war ziemlich frustrierend und mir sehr peinlich. 

Dieser kleine Zwischenfall blieb natürlich nicht unbemerkt. So kam denn auch heute Morgen, noch während des Frühstücks, der Hotelier persönlich an meinen Tisch und wollte wissen was da gestern Abend los war. Mit knappen Worten gab ich Auskunft:" ... trèbuché sur la petite marche devant le balcon, ... tombé en arrière dans la fenêtre, ... en cassent la vitre, ... heureusement pas des blessures personelles." Der Chef schien zufrieden. Mein Angebot den Schaden sofort zu begleichen lehnte er zu meinem Erstaunen großzügig ab. Er erkundigte sich noch nach dem Ziel meiner Reise und erzählte mir, dass er, wenn es seine knapp bemessene Zeit zuließe, auch oft mit dem Rad unterwegs sei. Ich hatte den Eindruck, er wäre am liebsten mitgeradelt. Leider war er sehr beschäftigt. Ein kurzer Handschlag, ein knappes "Bonne route!", und weg war er, wahrscheinlich um den Glaser zu bestellen. 

Und was lehrt uns diese kleine Geschichte? Um mit Leuten in Kontakt zu kommen muss man diese nicht unbedingt suchen gehen, man kann sie auch auf sich zukommen lassen, allerdings muss manchmal mit etwas Spektakel nachgeholfen werden. 

So gegen 10 mache ich mich auf den Weg. Zunächst in östlicher Richtung auf der N85, der 'Route Napoleon' aus dem Ort hinaus. Den schmückenden Beinamen hat die Nationalstraße weil damals, im Jahr 1815, Napoleon bei seiner Rückkehr aus Elba hier vorbei gekommen ist. 

Siehe auch:  Pässe und Bergstraßen, Montagne de Lure ... Napoleons Rückkehr ...

Nach etwa 2 km verlasse ich die verkehrsreiche N85 und folge der wesentlich ruhigeren D526, dann, nach weiteren 2 km, den Serpentinen der D227 hinauf zur 300 m höhergelegenen Ortschaft Saint-Sebastien. 

 
Hier befinde mich jetzt auf einer Höhe von ca 900 Metern. Es ist merklich kühler geworden da trägt der sensible Radler obenherum gerne etwas Langes. 

Ohne nennenswerte Höhenunterschiede geht es nun dahin, zunächst auf der D227 nach Macheny und dann weiter auf der D66 nach Cordeac. Ich folge der D66, später D66A, bis zur Einmündung auf die D537, die dann über 3 km schnurgerade auf das Massif de Devoluy zuläuft. Die Straße windet sich nun vorbei an 'La Posterle' durch ein wildromantisches Tal stetig aufwärts. Das immer enger werdende Tal führt hinauf zu einer Engstelle, dem 'Defilé de la Souloise', die durch ein kurzes Straßentunnel überwunden wird. 

Defilie de la Souloise
Massif de Devoluy, Defilie de la Souloise

Agnieres en Devoluy Blick zurück, Agnieres en Devoluy 

Auf der D937 geht es nun über St. Disdier (1120 m) und Agnieres (1270 m) stehtig aufwärts bis zum Col de Festre (1441 m). Trotz der kühlen Witterung bin ich ordentlich ins Schwitzen gekommen. Wenn von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß, da wechselt man gerne in trockene Tücher!

Col du Festre Col de Festre, endlich oben! 

Nach Veynes, meinem heutigen Etappenziel, sind es jetzt noch knapp 10 km, dabei geht es ca. 600 Höhenmeter abwärts. Das durchschnittliche Gefälle beträgt also 6 %, was dazu führt, dass ich ziemlich ausgeruht dort ankomme. Das Wetter könnte zwar etwas besser sein, aber es ist warm, deshalb entscheide ich mich fürs Campen. 

Camping Veynes

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