Pässe und Bergstraßen - Col du Galibier

Savoie - Haute Alpes
Col du Galibier

Lanslevillard, 6.7.1995

Nach der Iseran-Tour mit Freund Rainer vor 3 Tagen ist heute der Galibier an der Reihe. Leider lässt sich auch bei diesem Pass, wie so oft, kein vernünftiger Rundkurs festlegen. Es gäbe zwar die Möglichkeit, unter Einbeziehung der Pässe Glandon, Croix de Fer und Télégraphe, einen solchen Rückkehrkurs abzustecken, doch der würde bei weitem das körperliche Leistungsvermögen eines, wenn auch begeisterten, so doch nur mäßig trainierten Hobbyradlers deutlich überfordern. Um den Galibier dennoch zur Gänze 'auskosten' zu können, hat sich Rainer etwas einfallen lassen. Er meinte, mit zwei Autos sei es zu schaffen. Und zwar so: Er würde sein Auto irgendwo in der Nähe von Briançon abstellen und dann von der Südseite her über den 'Col du Lautaret' anrücken. Ich dagegen solle mein Auto in Valloire parken und die Nordseite hoch radeln. Auf der Passhöhe des Galibier würden wir uns dann treffen und die Autoschlüssel tauschen. Der Rainer würde sodann nach Valloire abfahren und anschließend mit meinem Wagen zurück nach Briançon kommen. Währenddessen könne ich über den Lautaret talwärts rollen und an seinem Auto auf ihn warten. Im Kofferraum desselben befänden sich diverse erfrischende Getränke. Diese einfache, wenn auch mit etwas viel Autofahrerei verbundene Logistik leuchtete mir sofort ein, und wir verabredeten, uns heute so zwischen 12 und 13 Uhr auf der Passhöhe des Galibier zu treffen.   

CampingplatzCampingplatz in Lanslevillard 

Um einigermaßen pünktlich zu sein, verlasse ich, zu früher Stunde den Campingplatz in Lanslevillard. Der Morgen graute noch ein wenig, denn die Sonne war eben erst aufgegangen. Nach einer gemütlichen Autofahrt durch das nicht reizlose Arctal bis 'St.-Michel-de-Maurienne' und von dort weiter über den 'Col du Télégraphe', treffe ich so gegen acht in Valloire ein. Es ist Markttag, die Straßen sind verstopft, und ich habe Mühe einen geeigneten Parkplatz auszumachen, einen, der gut zu beschreiben und leicht zu finden ist. Etwas außerhalb des Ortes, in Richtung Galibier, werde ich fündig. Es kann losgehen! Der 'Col du Galibier' ist einer der schönsten Pässe der Alpen, und mit 2640 m einer der höchsten dazu. Nicht von ungefähr ist er beinahe jedes Jahr im Programm der 'Tour de France' zu finden. 

SchuthaufenSchuttkegel der 'Aiguilles d'Arves' 

Von Valloire (km 0) bis zur Passhöhe (km 18,5) auf 2646 m sind 1216 Höhenmeter zu überwinden. Und es geht gleich richtig zur Sache. Bis Les Verneys führt die Straße mit gut über 10 % Steigung bergan. Dann wird das Tal etwas breiter und die Steigung geht zunächst auf ein erträgliches Maß zurück um dann wieder zuzunehmen. Die Waldgrenze ist erreicht, die Landschaft wird immer imposanter. Mit Steigungen bis zu 10 % folgt die Straße nun mehr kurvenlos dem langgestreckten Tal des Flüsschens Valloirette, vorbei an den rötlich grauen Schuttkegeln der 'Aiguilles d'Arves'.  Am 'Refuge du Plan Lachat' (km 9,5 - 1.961 m) wird's dann ernst! Gleich nach der Brücke über die Valloirette beginnen die Serpentinen. Mit geschätzten Steigungen bis zu 12 % winden sie sich die Hänge des 'Grand Galibier' hinauf. 

...es wird ErnstEs wird ernst

Rochers de la PurreRochers de la Puré 

Ab den 'Granges du Galibier' (km 13) wird die Strecke wieder geradliniger und das Gelände etwas flacher. Die Aussicht wird mit zunehmender Höhe immer phantastischer. Im Osten beeindrucken im Gegenlicht die spitzen Felsnadeln der 'Rochers de la Puré' (Bild 4). Fasziniert lasse ich mich auf einem Felsbrocken im Geröllfeld nahe der Straße nieder und berausche mich an dem einmaligen Panorama. Doch es hält mich nicht lange, ein innerer Drang zieht mich nach oben. Die Passhöhe kommt ins Blickfeld. Wie eine Wand türmt sich vor mir die Ostflanke des 'Grand Galibier' auf. Deutlich lässt sich die Straße mit ihren vielen Kehren bis oben hin verfolgen. Das sind noch gut 5 km und etliche 100 Höhenmeter. DieZeit wird langsam knapp, schließlich habe ich um zwölf da oben eine Verabredung. 

Granges du GalibierGranges du Galibier   

Ich mobilisiere meine letzten Kraftreserven und schraube mich Kehre für Kehre mühsam nach oben. Die Steigung beträgt hier gut und gerne 12 %, und ich muss immer wieder kleine Erholungspausen einlegen. Die 'Granges du Galibier' liegen schon tief unten und werden immer kleiner. Noch eine Kehre, dann ein sehr steiles gerades Stück, und es ist vollbracht! Ich bin oben. 

Es ist 12 Uhr 30, und der Rainer ist auch schon da! Zusammen mit Sohn Gunnar ist er vor etwa einer halben Stunde hier eingetroffen . 

Gipfelfoto1Geschafft! 

Gipfelfoto2

In Anbetracht der Unwägbarkeiten der unterschiedlichen Anfahrtswege, ist das kein schlechtes Timing! Die Begrüßung fällt betont herzlich aus und geht nahtlos über in das bei solchen Gipfelereignissen übliche gegenseitige Ablichten. Wie den aufgestellten Hinweisschildern zu entnehmen ist, verläuft hier oben die Grenze zwischen den Departements 'Savoie' und 'Hautes Alpes'. Nicht beschildert dagegen ist die Tatsache, dass der Galibiergipfel auch die Wetterscheide zwischen atlantischem und mediterranem Klima darstellt. Doch das nur nebenbei. 

Massiv des EcrinsMassiv des Ecrins 

Das kleine Plateau der Passhöhe bietet einen überwältigenden Ausblick. Nach Nordwesten blickt man auf die 'Grandes Rousses' und die 'Aiguilles d'Arves', nach Nordosten auf die Felsenreihe der 'Rochers de la Grande Puré', und ganz am östlichen Horizont ist der 'Mont Blanc' zu erkennen. Der Blick nach Süden ist nicht minder spektakulär. Ausgebreitet und zum Greifen nah erstreckt sich hier das 'Massiv des Ecrins' mit seinen Viertausendern, der 'Barre des Ecrins' (4102 m), dem 'Mont Pelvoux' (3932 m) und weiter im Westen der vergletscherten 'Meije' (3974 m). Wir halten uns nicht lange auf, denn über das Plateau fegt ein ziemlich steifer, kalter Wind, der wegen der feuchten Trikots besonders unangenehm ist. Wir können es kaum erwarten, in tiefere, wärmere Gefilde zu gelangen, tauschen noch schnell die Autoschlüssel, und ab geht's! Rainer und Gunnar zieht es nach Norden, nach Valloire, und ich mache mich auf den Weg nach Briançon. 

So eine Passabfahrt ist immer wieder ein besonderes Erlebnis. Es ist eine Art Fliegen mit Bodenhaftung. Fliegen deshalb, weil, insbesondere oberhalb der Baumgrenze, die tieferliegende Landschaft oft völlig frei, wie aus der Sicht eines Vogels wahrgenommen wird. Auf Bodenhaftung sollte dabei unbedingt geachtet werden, da, sollte sie verloren gehen, weiche Landungen eher die Ausnahme sind. Die ersten Kehren hinab zum 'Col du Lautaret' sind sehr steil und erfordern höchste Aufmerksamkeit. Um in den Kurven nicht zu schnell zu werden, ist leichtes Dauerbremsen angesagt. Schon bald schmerzen die Fingergelenke. Dennoch ist es ein unbeschreibliches Hochgefühl, so frei und lautlos zu Tale zu gleiten. Schon bald taucht tief unten der Lautaret Pass mit dem Restaurant und den Andenkenläden auf.  

Dort angekommen halte ich mich nicht lange auf, sondern stürze mich sofort in die ersten Kehren auf der N91, hinab ins 'Vallée de la Guisane' in Richtung Briançon. In der Folge verläuft die Straße bei mäßigem Gefälle relativ geradlinig und ich lasse dem Rad seinen Willen und freien Lauf. Auf einem kleinen Parkplatz kurz vor 'Chante Merle', etwa 10 km vor Briançon, finde ich auf Anhieb Rainers Auto. Im Kofferraum, die erfrischenden Getränke waren zwar lau, dafür aber magenschonend. Es lebe der Positivismus! 

 

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