4. Etappe, von Siena nach San Gimignano

Dienstag 31.5.88

Der Dom von Siena mit seiner hellleuchtenden Marmorfassade macht wirklich was her! Er wurde auf der höchsten Stelle der Stadt errichtet und zählt zu den eindrucksvollsten Kirchenbauten Italiens. Das meint zumindest mein gedruckter Toskanaführer, und ich denke, er hat damit nicht ganz Unrecht. 

Siena, Dom
Siena, Dom   (Quelle: LINK)

Mit dem Bau wurde 1299 begonnen, die Bauzeit betrug 35 Jahre. Im Jahre 1339 entwickelte man ehrgeizige Umbau- und Erweiterungspläne. Der bestehende Dom war dabei als Querschiff einer neuen, in ihrer Hauptachse über 100 Meter langen Kirche vorgesehen. Auf diese Weise sollte damals das größte gotische Bauwerk südlich der Alpen entstehen. Jedoch es kam anders. Die Pest von 1348 und nachgebende Fundamente bereiteten den kühnen Plänen ein vorzeitiges Ende. Die bereits errichteten Teile des neuen Domes bilden heute die Einfassung der 'Piazza lacopo della Quercia'. Der reiche Skulpturenschmuck der schönen Fassade wurde 1869 größtenteils renoviert. Die Figuren sind heute fast alle durch Kopien ersetzt. 

Es ist schon beinahe 10 Uhr, als ich mich aufs Rad schwinge und die Piazza del Duomo und Siena verlasse. Auf der N222 radle ich zunächst ohne größeren Kraftaufwand in nördlicher Richtung durch die Hügel nach 'Quercegrossa'. 

Der Himmel hat sich etwas bewölkt, aber es bleibt trocken. Vor mir liegt eine reizvolle Strecke mit 250 Höhenmetern und einigen Steigungen über 10 %. Ich komme ins Schwitzen und muss immer wieder kleine Pausen einlegen. In 'Castellina in Chianti' ist es dann geschafft. Ich bin oben! Die Straßenkarte verheißt mir nun eine Talfahrt mit 450 Höhenmetern hinunter nach 'Poggibonsi' ins Tal der 'Elsa'. Für all die Plackerei eine willkommene Belohnung! Kurvenreich geht's nun über S. Agnese und Cedda talwärts nach Poggibonsi und von dort weiter in Richtung San Gimignano, meinem heutigen Etappenziel entgegen.

In der Ferne, auf einem der Hügel, sind schon die Türme der Stadt zu erkennen, als ich mich entschließe eine längst überfällige, verspätete Mittagspause einzulegen. Im hohen Gras am Rande eines Weingartens lagernd, halte ich ausgiebig Siesta. Es gibt den bewährten Radlerlunch, bestehend aus Brot mit Salami und Käse, und dazu den Rest des Rotweins von gestern. Ich genieße die wärmenden Strahlen der Sonne, die immer wieder durch die Wolkendecke brechen und die liebliche toskanische Landschaft mit einem sich schnell wechselndem Licht- und Schattenspiel überziehen.

Die Pause hat mir gut getan. Ich fühle mich wieder fit für die letzte Herausforderung des Tages, den 220 Meter hohen Anstieg hinauf nach San Gimignano. Je mehr ich mich ihr nähere, desto deutlicher hebt sich die Silhouette der Stadt gegen den graublauen Gewitterhimmel ab. Sie erinnert mit ihren vielen Türmen, ihren Miniwolkenkratzern irgendwie entfernt an die Skyline von Manhatten. 

S. Gimignano, Skyline
San Gimignano, Blick von Süden   (Quelle: Link)

Ziemlich erschöpft und schweißnass komme ich schließlich oben an und nehme, ohne lange nach einem Hotelzimmer zu suchen, die nächstbeste Privatunterkunft. Die Vermieterin, vom Typ missmutige Alte, beäugt mich argwöhnisch, als ich polternd meine Satteltasche die Treppe hochhieve. Offenbar fühlt sie sich in ihrer Ruhe gestört. Als ich dann auch noch zu duschen begehre, falle ich völlig in Ungnade. Mürrisch zeigt sie mir die Nasszelle und zieht sich dann in ihre Gemächer zurück. Irgendwie scheine ich in meinen verschwitzten Fahrradklamotten nicht ganz ihren Vorstellungen von einem ordentlichen Hausgast zu entsprechen. Vermutlich hat auch mein, in ihren Augen wohl etwas ungewöhnliches Gepäck dazu beigetragen mich in ihrer Gunst so tief sinken zu lassen. Normalerweise würde ich in einer solchen Situation versuchen mein anstößiges Erscheinungsbild wenigstens verbal etwas aufzubessern, doch meine spärlichen Italienischkenntnisse lassen dies nicht zu. 

Frisch geduscht und geschniegelt unternehme ich vor dem Abendessen noch einem kleinen Rundgang durch die mittelalterlichen Gemäuer der Stadt. Später, im 'Ristorante', beim Studium der Speisenkarte, ist die unfreundliche Alte längst vergessen. Die zu erwartenden Gaumenfreuden verdienen meine ungeteilte Aufmerksamkeit. 

S. Gimignano, PiazzaSan Gimignano, Piazza cisterna    (Quelle: Link)

San Gimignano ist weithin bekannt als die Stadt der Türme. Es sollen 72 gewesen sein, heute sind es nur noch 13. Der größte ist 54 m hoch. Im Mittelalter waren sie einst Zeugnis des Reichtums und der Macht sich gegenseitig bekriegender Adelsfamilien. Wer den Größten hatte war der Boss. Und wenn's mal brenzlig wurde, konnte man sich getrost in die mit allem Lebensnotwendigen ausgestatteten Türme zurückziehen und einige Tage belagern lassen. 

San Gimignano, wie auch Siena, verdankt seine Existenz der sogenannten Frankenstraße, dem Hauptverkehrsweg, der im Mittelalter aus dem Norden nach Rom führte. Erfolg und Reichtum seiner Bürger beruhten wesentlich auf dem Handel, vor allem mit Safran und den daraus gewonnen Farben. Auch sollen Bankgeschäfte und ein auswucherndes Kreditwesen nicht unerheblich zur Mehrung des Wohlstandes beigetragen haben. Im Jahre 1352 kam S. Gimgnano unter die Herrschaft von Florenz. Die Blütezeit ging langsam zu Ende, die Florentiner förderten die Stadt noch als Bollwerk gegen Siena. Als dann Siena 1557 dem Großherzogtum Toskana einverleibt wurde, versank S. Gimignano vollends in der Bedeutungslosigkeit. Seine stolzen Türme begannen zu zerfallen.

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