3. Etappe, von Arezzo nach Siena

Montag 30.5.88 

Completto! Completto! Ich kann es schon nicht mehr hören! Überall das gleiche! Das ist nun schon das fünfte Hotel, wo ich mich nach einer 'camera libera' erkundige. Ich bin in Siena, inmitten dieser phantastischen alten Stadt und versuche möglichst in der Nähe des Zentrums ein Zimmer zu bekommen. Ein schier aussichtsloses Unterfangen, wie mir langsam klar wird. Mittlerweile habe ich, das Fahrrad schiebend, die 'Piazza del Campo' erreicht. Ich bin überwältigt! Ein riesiger muschelförmiger Platz, eingerahmt von stattlichen vier- und fünfstöckigen Bürgerhäusern, überwiegend in kulturträchtigem gelbbraunem Antiklook gehalten! Und dann der Turm, der 'Torre del Mangia', mit seiner Höhe von 102 Metern den Platz dominierend, gleich neben dem imposanten 'Palazzo Pubblico', dem Rathaus! 

Piazza del Campo
Siena  (Quelle: LINK)

Ich bin mächtig beeindruckt! Überall rege Betriebsamkeit! Vergessen ist die Suche nach einem Hotelzimmer, stattdessen lasse ich auf der Terrasse einer Trattoria das großartige Ambiente der Piazza bei einer Tasse Capuccino auf mich wirken. Dem Capuccino folgt noch ein großer Eisbecher, dann wird es wieder Zeit mich mit meinem Nachtlager zu befassen. Noch weiter die Hotels abzuklappern erscheint mir müßig. Aus einem zentral gelegenem Nachtlager wird wohl nichts mehr. Ich ziehe meinen Campingführer zu Rate. Er weist für Siena nur einen einzigen Platz aus, den 'Colleverde'. Schweren Herzens entschließe ich mich auf einen weiteren Streifzug zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt zu verzichten und mache mich auf den Weg. 

Siena Camping

Der Platz ist leicht zu finden, er liegt etwas außerhalb, er ist laut und übervoll. Und weit und breit kein Restaurant! An der Rezeption will man mich zunächst mit dem für mich mittlerweile zum Reizwort gewordenem 'completto!' abspeisen. Doch ich lasse nicht locker und komme schließlich mit dem Hinweis auf den geringen Platzbedarf meines 'tenda piccola', meines Minizelts, doch noch rein. Am Rande des 3-Sterne Platzes, direkt am Maschendrahtzaun finde ich dann tatsächlich noch ein kleines Refugium, wo ich mich einigermaßen ausbreiten kann. Eine Lücke im Buschwerk gewährt sogar einen Blick auf die im milden Abendlicht leuchtende Silhouette der Stadt.

Siena

Eigentlich steht mir ja der Sinn eher auf ein lukullisches Abendessen in angenehmer Umgebung, als mich hier in der Enge eines übervölkerten Campingplatzes von Mitgebrachtem zu ernähren. Doch dazu müsste ich mich erst umziehen und dann wieder aufs Fahrrad schwingen um in die Innenstadt zu kommen. Hierzu fehlt mir aber momentan der nötige Elan. Also bleibt die Küche kalt und ich begnüge mich mit dem, was ich unterwegs gekauft habe, mit Brot, Salami, Käse und vino rosso. Nebenher schmökere ich einigermaßen verdrossen im Reiseführer. Mir wird schwarz auf weiß schmerzlich klar, was ich durch mein gegenwärtiges Phlegma alles versäume. Am meisten bedauere ich den Dom auf der Piazza del Duomo nicht besichtigt zu haben. Ein majestätisches, gotisches Kunstwerk mit einer Fassade aus hellem Marmor, für den kulturbeflissenen Touristen ein unbedingtes 'Muss'! Ich nehme mir fest vor, morgen vor der Weiterfahrt noch einen Abstecher zu diesem bemerkenswerten Bauwerk zu unternehmen. 

Die heutige Etappe war eine kontinuierliche Berg- und Talfahrt, hügelauf und hügelab mitten durch eine herrliche, sonnenbeschienene, typisch toskanische Landschaft. Die harmonisch in die grünen Hügel gesprenkelten Pinienwäldchen, die Heckengruppen und Zypressenhaine, scheinen nur dem einen Zweck zu dienen heitere Motive für Landschaftsmaler zu liefern. 

So gegen 9 Uhr verließ ich Arezzo in Richtung Olmo, S. Zeno. Auf der SS73 herrschte mäßiger Verkehr und in dem überwiegend flachen Gelände kam ich flott voran. Ab Monte S. Savino wurde die Landschaft deutlich hügeliger und die Straße kurvenreicher, der Verkehr dagegen nahm merklich ab. Schon bald erreichte ich nach einer kraftraubenden Bergfahrt mit 200 Höhenmetern den 533 m hohen Kulminationspunkt der heutigen Etappe. Willkommener Anlass, mich zwecks Regeneration seitwärts in die Büsche zu schlagen und der Ruhe zu frönen. Über Palazzuolo schlängelte sich die Straße dann kurvenreich weiter, diesmal 200 Höhenmeter abwärts bis Colonna di Grillo. Hier endet die N73.

Auf kleinen Nebenstraßen ohne Verkehr ging's nun wieder durch die Hügel über Castellnuovo - Berardenga, Pacina und Curina nach Pianella. War die Tour bisher trotz des ewigen rauf und runter noch ein ungetrübtes Vergnügen, so änderte sich dies nun auf der Nationalstraße N408 schlagartig. Inzwischen war es später Nachmittag geworden und ich bekam die italienischen 'rush hours' voll zu spüren. Besonderes Merkmal der italienischen Variante dieses Phänomens ist die außerordentliche Quirligkeit des 'stop and go'- Verkehrs. Auf engstem Raum wird sehr oft waghalsig überholt, so als gelte es einen Grand Prix zu gewinnen, es wird hektisch beschleunigt und ebenso abrupt wieder abgebremst. Außerdem offenbart sich hier in trefflicher Weise das noch unbekümmerte, gesunde Verhältnis italienischer Autofahrer zu ihren Hupen. Sie benutzen sie! Sie tun es mit schierer nicht enden wollender Begeisterung! In den engen Straßen von Siena steigerte sich das ganze zum ohrenbetäubenden Inferno. Ein schwerbepackter und dadurch etwas träger Radler kann da einfach nicht mithalten. Entnervt stieg ich schließlich ab und machte mich, das Fahrrad schiebend auf die bereits erwähnte, vergebliche Suche nach einem Nachtnachtquartier in Zentrumsnähe.

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