14. Etappe, von Ajaccio nach Propriano

Montag 13.6.88 

Eigentlich habe ich ja mit Zahlenmystik und dergleichen Aberglauben nichts am Hut, doch die Ereignisse des heutigen Tages geben mir doch zu denken. Für mich war dieser 13. Juni ein rabenschwarzer Tag mit einer Reihe von Missgeschicken und Pannen, die letztlich zum vorzeitigen 'Aus' für die Fahrradtour führten! 

Es begann, zunächst ganz harmlos damit, dass ich meine Sonnenbrille auf dem Campingplatz in Ajaccio, wahrscheinlich im Waschraum, habe liegen lassen. Als ich den Verlust bemerkte, hatte ich bereits die morgendliche 'rush hour' von Ajaccio hinter mich gebracht. Umkehren, mich noch einmal dem stinkenden, lärmenden Verkehrsgewühl aussetzen, das wollte ich mir nicht antun. In einem Kiosk kaufte ich mir eine neue. Nun hatte ich zwar wieder eine Sonnenbrille, bemerkte jedoch nach einiger Zeit, ich befand mich schon im Anstieg zum 'Col de la Seghia', die Abwesenheit meiner Schirmkappe. Ich muss sie wohl auf der Theke des Ladens liegen gelassen haben. Zum Zurückfahren hatte ich wiederum keine Lust, war ich doch schon beinahe oben, auf dem 'Seghia'. 

Diese beiden Ereignisse, obwohl im Grunde genommen nicht eigentlich gravierend, hätten mich mahnen müssen, etwas konzentrierter zu sein. Doch sie taten es nicht! Nach einer kleinen Pause, kurz hinter Pisciatello, auf der D 302, am Beginn des Anstiegs zum 'Col de Bellevalle', steige ich, leichtsinnig und nichts Böses ahnend, entgegen meiner Gewohnheit, statt von der linken Seite, wie das wohl jeder tut, nur so zum Spaß, von rechts aufs Rad. Also mit dem linken Fuß über den Sattel ins linke Pedal. Letzteres trete ich sogleich kräftig durch, bekomme aber auf der ansteigenden Straße und mit dem schweren Gepäck nicht genügend Schwung und zudem ein leichtes Übergewicht nach links. Normalerweise ist das kein Problem, ich bräuchte ja nur den linken Fuß auf die Straße setzten. Doch genau dieses, sozusagen routinemäßige, instinktive Manöver ist mir verwehrt. Der verdammte Pedalriemen lässt dies nicht zu. Ich hänge fest und ehe ich mich versehe, kippe ich zur Straßenmitte hin um und lande recht unsanft auf dem harten Asphalt. Um den Aufprall zu mindern, stütze ich mich reflexartig mit der bereits vorgeschädigten linken Hand ab, was bestialische Schmerzen verursacht. Gleichzeitig ertönt heftiges Reifengequietsche und ein Pkw schlittert haarscharf an mir vorbei. Elektrisiert rapple ich mich auf und mache, dass ich schleunigst von der Straße komme. Das hätte ins Auge gehen können! Ich entferne sofort die Pedalriemen, sie haben auf einem schwerbeladenen Tourenrad nichts zu suchen und stellen eine ernsthafte Gefahr dar. Erfreulicherweise lassen die Schmerzen im Handgelenk schon sehr bald nach, und ich kann die Reise fortsetzen. 

Der Himmel hat sich etwas bezogen, aber es bleibt warm und trocken. Vor mir liegen zwei beachtliche Pässe, der 'Col de Bellevalle' und der 'Col d'Aja Bastiano' mit 552 und 600 Metern Höhe. Die Straße führt von der Küste weg und weist neben einer Unzahl von Schlaglöchern auch zahlreiche Kurven mit zum Teil recht ordentlichen Steigungen auf. Nach 16 km anstrengender Bergfahrt durch landschaftlich nicht reizloses, bewaldetes Gebiet, erreiche ich das Plateau des 'Col de Bastiano', wo ich mich abseits der Straße erst einmal regenerieren muss. Die kleinen Missgeschicke des Vormittags sind längst vergessen, und ich freue mich schon auf die Abfahrt, die sich auf eine Länge von 28 km hinziehen wird, hinab ans Meer, zum Golf de Valinco. 

vor Propriano

Ich bin schon fast unten, und in der Ferne ist schon der blaue Schimmer der Bucht zu erkennen, da bemerke ich, dass das Hinterrad leicht streift. "Aha", denke ich ",die vielen Schlaglöcher machen sich bemerkbar". Ich halte an, zentriere ich das Rad neu ein und wundere mich noch, dass es sich dabei so ganz anders verhält als sonst. Die Speichen lassen sich seltsam leicht nachspannen, wobei die erzielte Wirkung ziemlich dürftig ausfällt. Dennoch gelingt es mir, den 'Achter' so weit zu beseitigen, dass die Bereifung wenigstens nicht mehr streift. Einige Zeit geht das auch gut, doch kurz vor Propriano fängt das Theater wieder an. Ich versuche es erneut mit dem Speichenzieher. Erfolglos! Das Rad benimmt sich wie es will. Speichen, die ich soeben erst angezogen habe, sind im nächsten Moment wieder völlig locker. Es ist wie verhext. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Da fällt mein Blick auf die Nabe, und mit einem Male ist alles klar. Der Nabenflansch auf der Seite der Zahnkränze ist nur noch zu einem Drittel des Umfangs mit der Nabe verbunden, der Rest ist abgebrochen und die entsprechenden Speichen hängen quasi in der Luft. Hier ist ein neues Hinterrad fällig! Doch woher nehmen!? Mühsam schiebe ich das Rad etwa 3 km bis zum nächsten Campingplatz. 

Während ich noch mit Zeltaufbauen beschäftigt bin, kommt ein Typ aus der Nachbarschaft, dem mein trauriger Einzug nicht entgangen war und erkundigt sich nach meinem Problem, und ob er mir helfen könne. Ich zeige ihm die Misere und er erklärt sich bereit, mich mitsamt dem Rad morgen in seinem VW-Bus nach Propriano zu fahren, wo ich sicher ein neues Hinterrad bekommen würde. Ich hoffe, er behält recht. Nach meinen bisherigen Erfahrungen, was Fahrradgeschäfte und Ersatzteile auf der Insel angeht, bin ich da eher skeptisch.

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