12. Etappe, von Porto nach Tiucca

Donnerstag 9.6.88 

Die klaren Mistralnächte machen mir sehr zu schaffen. Gegen Morgen wird es empfindlich kühl und mein Schlafsack, ideal für heiße Tropennächte, hat der Kälte nichts entgegen zu setzen. Meist liege ich zähneklappernd wach oder wälze mich in einem unruhigen Halbschlaf von einer Seite auf die andere. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis die ersten, wärmenden Sonnenstrahlen über die Wipfel der hohen Bäume hinweg auf mein Zelt treffen. Doch dann wird es allmählich etwas lauschiger und ich kann das Versäumte nachzuholen. Ich falle in einen wohligen Tiefschlaf! 

Ziemlich spät, aber ausgeschlafen, mache ich mich nach einem üppigen Frühstück, so gegen 11 Uhr wieder auf den Weg. Mit 10 % -igen Steigungen geht es gleich ordentlich zur Sache, hinauf in die 'Calanche de Piana' zum 498 m hohen 'Col de Lava'. 

Calanch de Piana

Ich gewinne schnell an Höhe. Rechterhand kommt immer wieder, jedes mal weiter unten, der Golf von Porto ins Blickfeld. Die Sonne steht hoch im Zenit und brennt unerbittlich hernieder. Gelegentlich nutze ich den spärlichen, lichten Schatten der Bäume zu kurzen Erholungspausen. Meter für Meter, Kehre um Kehre kämpfe ich mich über den weichen Asphalt nach oben in die 'Calanche'. Dort zwängt sich die enge Straße auf einer Länge von ca. 2 km durch eine bizarr verwitterte Felsregion. Das zu beiden Seiten schroff aufragende, erodierte rötliche Granitgestein nimmt extravagante Formen an. Direkt am Straßenrand weist ein Schild auf einen 'Tête du Chien', einen Hundekopf hin. 

Calache de Piana, Hundekopf
La Tète du Chien

Glaubt man der Legende, so hat der Teufel hier einst versucht eine Ziegenhirtin zu verführen, und als ihm dies nicht gelang, (es lebe die Tugend!) geriet er in Rage und versteinerte in seiner Wut all die Leute, die gekommen waren der Hirtin beizustehen. Man kann diese fantastischen Gestalten heute noch bewundern, wenn man zu Fuß durch die Calanche streift: die Hirtin und ihren Mann, den Hund, einen Bischof und mit etwas Phantasie wohl noch einige andere seltsame Kreaturen und Gegenstände. 

Calanche de Piana
Calanche de Piana   

Als Guy de Maupassant im Herbst 1880 die Calanche besuchte, beschrieb er sie folgendermaßen: Fassungslos stand ich still vor diesen erstaunlichen Felsen aus rosa Granit, vierhundert Meter hoch, befremdlich, gequält, zerfressen von der Zeit, blutig im letzten Feuer der Abenddämmerung, wie ein Feenvolk aus Märchenwesen, versteinert von einer übernatürlichen Macht. 

Der Ort Piana wurde, wie der Name schon andeutet (ital. piana = Ebene), auf einem Plateau errichtet. Er liegt am südlichen Ende der Calanche in 438 m Höhe und bietet noch einmal einen schönen Ausblick auf den Golf von Porto und die beiden Halbinseln 'Senino' und 'Scandola'. Den malerisch angeordneten weißen Häusern, dominiert von der sehr schönen Kirche 'Sainte-Marie', verdankt der Ort die offizielle Klassifizierung eines der schönsten Dörfer Frankreichs zu sein. Bevor ich mich daran mache die letzten 60 Höhenmeter hinauf zum 'Col de Lava' zu erklimmen, vertrete ich mir, das Fahrrad durch die Gassen des Dorfes schiebend, noch ein wenig die Beine. 

Ohne große Mühen erreiche ich kurz darauf den 491 m hohen 'Col de Lava'. Es bietet sich noch einmal ein herrlicher Blick nach Norden, auf den 'Golf de Porto' und den dahinter liegenden 'Golf de Girolata'. Im Nordosten zeigen sich schneebedeckte hohe Berge. Vielleicht der 'Monte Cinto'? Über eine leichte Abfahrt gelange ich zum 433 m hohen 'Col di San Martino'. 

Und es geht weiter abwärts, bis zum letzten Buckel vor Cargese, dem 100 m hohen 'Col du Torraccia'. 330 Höhenmeter Talfahrt, und das auf einem nagelneuen Straßenbelag! Ein lange entbehrtes Erlebnis! Ich kann das Rad endlich mal wieder laufen lassen ohne argwöhnisch nach tiefen Schlaglöchern oder quer über die Straße verlaufenden Gräben Ausschau halten zu müssen. 

Cargese
Cargese, Golf von Sagone   (Quelle: LINK)

Um 15 Uhr bin ich in Cargese. Nach einem erfrischenden Bad im Meer lege ich eine längere Pause ein. Es ist einfach zu heiß um weiter zu radeln. Anschließend genehmige ich mir im Ort noch zwei Bierchen. Als ich mich am späten Nachmittag ausgeruht und zufrieden wieder auf den Weg mache, hat die Hitze schon merklich nachgelassen. 

Die D 81 folgt nun wieder unmittelbardem Verlauf der Küste und weist keine größeren Höhenunterschiede mehr auf. So gegen 19 Uhr beschleicht mich das deutliche Gefühl für heute genug geradelt zu sein. In der Nähe des kleinen Ortes 'Tiuccia' finde ich einen Campingplatz und errichte mein Zelt. Der Platz ist in Ordnung, das Restaurant auch. Zum Dinner gibt es 'Cous-cous', kein Ereignis, aber nicht schlecht! Ich finde, man muss es mal probiert haben, um es abhacken zu können.

Tiuccia
Tiuccia

Navigation

Google maps