1. Etappe, von Fano nach Piobbico

Samstag 28.5.88 

Ankunft in Fano an der Adria um 9 Uhr 30. Ich habe mir einen Liegewagenplatz geleistet und bin trotzdem wie gerädert. Verschlafen stehe ich an der Gepäckausgabe des kleinen Bahnhofs und warte auf die Herausgabe des Fahrrads. Der Schalter ist zwar geöffnet aber nicht besetzt. Sachte versuche ich durch ein wiederholtes "hallo" auf mich aufmerksam zu machen. Jedes Mal ertönt aus den Tiefen des Gepäckraumes ein kaum vernehmbares "subito", das ich als "komme gleich" interpretiere. Nach einigen Minuten kommt tatsächlich jemand. Ein etwas rundlicher Bahnbediensteter in Uniform sieht mich vorwurfsvoll an, so, als hätte ich ihn bei einer bedeutsamen Tätigkeit gestört. Mutig präsentiere ich meinen Gepäckschein. Er studiert ihn eingehend und verschwindet dann wieder hinter den mit Gepäckstücken aller Art vollgestopften Regalen. 

Er bleibt ziemlich lange weg. Verdächtig lange, so als müsste er mein Rad erst unter Dutzenden anderer Räder heraussuchen! Ich werde nervös. Was ist, wenn mein Rad noch nicht eingetroffen, oder schlimmer noch, ganz wo anders gelandet ist? Vielleicht in Ancona oder Rimini oder weiß der Henker wo? Ich habe noch nicht gefrühstückt und verspüre ein flaues Gefühl in der Magengegend. Da, endlich, taucht der Dicke wieder auf, und mit ihm mein Fahrrad. Doch wo ist die Fahrradtasche? Der Gepäckträger ist leer! Ich krame in meinen unlängst in einem Anfängerkurs der Volkshochschule erworbenen, etwas dürftigen Italienischkenntnissen und versuche mit einem knappen "Dove bagagli?" auf das fehlende Gepäckstück hinzuweisen. Er sieht mich erstaunt an, woraufhin ich mein "Dove bagagli?" noch ein paar mal wiederhole. Mein leicht hysterischer Auftritt scheint ihn nicht weiter zu beeindrucken. Er zuckt nur resigniert mit den Schultern, überschüttet mich alsdann mit einem mir unverständlichen Redeschwall und deutet mir schließlich gestikulierend an ihm in sein Heiligtum zu folgen. 

Nach kurzem Suchen gelingt es mir meine prallgefüllte Radeltasche ausfindig zu machen und aus dem Regal zu wuchten. Ich bin erleichtert, der Repräsentant der italienischen Staatsbahnen ist es auch. Er hilft mir sogar die Tasche am Rad zu befestigen. Ein kräftiger Händedruck, ein knappes 'buon viaggio!' und dem Beginn der Tour, die mich quer durch die Toskana führen und mit einer Korsikaumrundung gekrönt werden soll, steht nichts mehr im Wege. 

Die lange Bahnfahrt im vollbesetzten Liegewagenabteil steckt mir noch in den Knochen. Ich habe kaum geschlafen und fühle mich nicht gerade in Bestform. Es dauert eine ganze Weile, bis ich meinen gewohnten Trittrhythmus finde. Die mäßige Steigung auf der gut ausgebauten S73 nach Fossombrone lässt mich schon bald ins Schwitzen kommen. Der Verkehr ist erträglich und der anfängliche leichte Nieselregen lässt bald nach. Es ist schwülwarm, die Steigung nimmt zu und zieht sich schier endlos hin. 

Meine schlechte Kondition zwingt mich immer wieder kurze Pausen einzulegen. Kurz vor Fossombrone mache ich Mittagspause, am Straßenrand. Es fängt wieder an zu regnen. Die mitgebrachten Brote mögen nicht so recht schmecken. Ich hatte noch keine Gelegenheit mich mit frischen Sachen einzudecken. 

Mittagspause

Ob aus Übermüdung, oder wegen des immer stärker werdenden Regens, meine Laune nähert sich ihrem Tiefpunkt. Warum muss es ausgerechnet immer dann regnen, wenn ich auf Tour gehe? Vielleicht sollte ich mir das nächste mal die Sahara vornehmen, damit die Leute da unten auch mal etwas Feuchtigkeit abbekommen. Wahrscheinlich würde ich dort dann als der 'radelnde Regenmacher' in die orientalische Märchenwelt eingehen, und die Beduinen würden sich abends vor ihren Zelten noch lange von mir erzählen.

In 'Calmazzo' verlasse ich die S73 und folge ungefähr 12 km einer kleinen Landstraße, der alten römischen 'Via Flaminia'. Die Via Flaminia verbindet Rom seit der Antike mit der Adriaküste. Die Straße wurde 220 v. Chr. angelegt und führte ursprünglich bis Ariminum (Rimini). In ihrer Geschichte änderte sich mehrfach der Streckenverlauf. Sie endet heute als 'Strada Statale 3 Via Flaminia'   in Fano.Landschaftlich besonders reizvoll führt sie durch die wildromantische Schlucht des Flüsschens 'Candigliano'. Die zu beiden Seiten hochaufragenden nackten Kreidefelsen lassen kaum Platz für die sich durchwindende Straße. An einer besonders engen Stelle befindet sich ein kleiner Tunnel, die Galleria del Furlo, die von Hand in den Fels geschlagen wurde. Die Meiselspuren weisen darauf hin, dass der Tunnel von beiden Seiten gleichzeitig angegangen wurde. Erbaut wurde das Ganze im Jahre 76 n.Chr. unter Kaiser Vespasian. Ich stelle mir das unsägliche Geklopfe vor, als Heerscharen von Arbeitern, wahrscheinlich Sklaven und Sträflinge, hier dem harten Fels mit Hammer und Meisel zu Leibe rücken mussten. 

Galleria del Furlo

In Acqualagna treffe ich auf die S257, die weiter in Richtung 'Citta di Castello' führt. Das Wetter hat sich mittlerweile so richtig eingesaut. Regen ohne Unterlass, die Landschaft wässrigtrüb und farblos! Die oft viel zu nah vorbeizischenden Autos tun ein Übriges. Mir reicht's! In 'Piobbico' steige ich entnervt aus dem Sattel und quartiere mich im Hotel 'Grotta blu' ein. Das Abendessen im Hotel war sicher gut gemeint, das Fleisch aber für meinen Geschmack total versalzen. Das war heute wirklich nicht mein Tag, es kann nur besser werden!

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