13. Etappe, von Carcassonne nach Leucate

Sonntag 21. Juni 87 

Als ich heute morgen Carcassonne verließ, bemerkte ich im Westen eine dichte, dunkle Wolkenbank, die sich unmittelbar über mir scharf gegen einen strahlend blauen Himmel abgrenzte. Außerdem war es ziemlich windig. Ein kühler, brutal steifer Wind, die 'Tramontane', fegte das Audetal herab. Im Michelinführer steht, dieses Phänomen sei hauptsächlich im Winter zu beobachten. Wie dem auch sei, mir kam diese Unterstützung gerade recht, gestattete sie mir doch meine größte Übersetzung, 52:14, einzulegen und auf der N 113 im Audetal gegen Osten zu stürmen. Die Tachonadel zeigte meist auf Werte über 30 km/h. Für die Strecke Carcassonne - Narbonne brauchte ich knapp 2 Stunden. Die Wolkenbank kam irgendwie nicht weiter, ja ich hatte den Eindruck, sie folgte mir im immer gleichem Abstand. 

Kurz vor Narbonne verlasse ich die N 113, fahre ein Stück auf dem Autobahnzubringer N 213 und dann noch etwa 2 km auf der N 9 bis zur Abzweigung der D 105. Die kleine Landstraße führt unmittelbar am Rande des 'Etang de Bages et de Sigean' entlang nach Peyriac. Nach dem brutalen Verkehrslärm in der Gegend um Narbonne war die Ruhe hier eine echte Wohltat. Doch der Wind, der nun hart über Steuerbord hereinstürmte, machte das Radfahren zum Balanceakt. In einem kleinen Seitenweg, umgeben von blühenden Ginsterbüschen hielt ich Mittagspause. Es gab Baguette mit Salami und Käse, dazu einen kräftigen Roten aus den Corbièren. Halbwegs windgeschützt wechselte ich die feuchte Kleidung und legte sie zum Trocknen aus. Für eine längere Siesta fehlte mir die innere Ruhe, außerdem war es mir zu windig. 

Kurz hinter der Ortschaft Bages führt die Straße ein paar hundert Meter landeinwärts. Die Tramontane pfeift mir nun voll ins Gesicht, so dass mir im wahrsten Sinne des Wortes Hören und Sehen vergeht. Ich lege mich mächtig in die Pedale und habe Mühe trotz kleinster Übersetzung (42:32) überhaupt vorwärts zu kommen. Schon nach etwa 50 m gebe ich mich geschlagen. Erschöpft und völlig außer Atem steige ich ab, lehne das Rad an eine Weinbergmauer und brauche eine ganze Weile um wieder zu mir zu kommen. Es macht keinen Sinn gegen übermächtige Naturgewalten anzukämpfen. Diese neugewonnene Erkenntnis erleichtert mir das mühsame Schieben bis zur nächsten Kehre, wo die Straße wieder nach Süden abbiegt. 

Und weiter geht's immer den Etang entlang, links die in der Sonne gleißende Wasserfläche, rechts eine ebene Steppenlandschaft über die ungehemmt der Tramontane braust. Ab Peyrac muss ich wieder auf die N 9 bis Sigean und weiter nach La Palme. Von dort radle ich über einen schmalen aber gut ausgebauten Feldweg durch moorige Salzwiesen bis zur D 627 und weiter nach Leucate Plage und Port Leucate. 

Port Leucate ist eine jener Retortenstädte, wie es an der französischen Mittelmeerküste so viele gibt, eine Ansammlung von freundlichen, mediterran gestylten Feriendomizilen direkt am Meer. Zu dieser frühen Jahreszeit, außerhalb der Ferien, gleicht der Ort aber eher einer verlassenen Geisterstadt mit eingemotteten Häusern, an deren abweisenden, dicht geschlossenen Fensterläden der Wind vergeblich rüttelt. 

Vor mir erstreckt sich nun tiefblau das Mittelmeer. Der Tageszähler meines Tachos steht genau auf 100 km, für mich Anlass genug, für heute Schluss zu machen. Nach einem Campingplatz brauche ich nicht lange zu suchen. Es gibt sie hier in Hülle und Fülle! Auf dem Erstbesten errichte ich mein Zelt inmitten duftender Ginsterbüsche. 

Leucate, Camping

Dann stellt sich die Frage nach dem Abendessen. Es gibt weit und breit kein ordentliches Restaurant und ich bin gezwungen, auf die Reste in der Satteltasche zurückzugreifen. Nach einem kleinen Spaziergang am Strand gehe ich früh schlafen, um für die morgige Etappe, die letzte dieser Tour, gerüstet zu sein. Der Wind pfeift durch die Büsche, gelangt dann und wann durch die Belüftungsnetze ins Zeltinnere und bläst es auf wie einen Luftballon. Das alles kann mir nichts mehr anhaben, eingehüllt in den Minisuperleichtschlafsack, schlafe ich den Schlaf des Zufriedenen, zufrieden mit der heutigen Tagesleistung und der Aussicht auf ein paar erholsame Urlaubstage in Collioure.

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