Donnerstag 31. Mai
Heute Nacht hat es geregnet, nicht stark aber immerhin. Gegen Morgen reißt mich ein gewaltiger Donnerschlag aus Morpheus Armen. Ganz in der Nähe geht ein Gewitter nieder. Noch ist es trocken, hin und wieder scheint sogar die Sonne. Das bleibt auch so während ich frühstücke und mich langsam startklar mache. Dann muss ich mich entscheiden, warten oder weiter? Da meldet sich der innere Schweinehund, er möchte lieber abwarten bis sich das Wetter bessert. Das kann lange dauern! Ich ignoriere seine kleinmütigen Bedenken und schwinge mich in den Sattel.
Das ging auch eine Weile gut. Der Wind kam von achtern (hinten) und
trieb mich ordentlich voran durch eine liebliche Landschaft. Radfahren
kann ja so schön sein! Doch das Gewitter war mir
ständig auf den Fersen. Seine bedrohlich schwarze Wolkenwand
kam langsam aber stetig näher. Erste dicke Regentropfen
platschen auf den Asphalt. Jetzt wird's ungemütlich! Ich muss
mich irgendwo unterstellen. Abseits der Straße, auf einem
kleinen Hügel, in mitten einer Weide, entdecke ich eine
große Scheune. Da muss ich hin! Ich trete kräftig in
die Pedale. Über einen holprigen Feldweg erreiche ich mit
Müh und Not das rettende Dach. Gerade noch rechtzeitig! Denn
kaum habe ich mich in eine halbwegs windgeschützte Ecke meines
nach zwei Seiten offenen Refugiums zurückgezogen, da
öffnen sich auch schon die Schleusen des Himmels. Es
schüttet mit einer solchen Vehemenz, als gelte es den
Weltuntergang einzuleiten. Die Sicht ist gleich Null, die liebliche
Landschaft ist verschwunden und ein jäh einsetzender Orkan
orgelt wütend durchs Gebälk. Der Gedanke, diesem
Tohuwabohu ungeschützt auf freier Strecke ausgesetzt zu sein,
lässt mich erschaudern. Eine wahre Horrorvorstellung! Das
Unwetter dauert etwa eine halbe Stunde. Dann ist es plötzlich
ganz still. Beinahe schlagartig hört es auf zu regnen, so als
hätte jemand den Hahn zugedreht. Hinter den abziehenden
Gewitterwolken zeigt sich alsbald ein Himmel in makelloser
Bläue. Ich mache mich wieder auf den Weg.
Der Feldweg ist total aufgeweicht. Ich schiebe das Rad zurück zur Straße. Es ist die D20, die sich über Esparron und unzählige Kehren nach oben schlängelt zum 1185 m hohen Col d'Espréaux. Das sind 350 Höhenmeter die es in sich haben. Schweißgebadet erreiche ich die Passhöhe. Die Landschaft ist extrem korrodiert und besteht im Wesentlichen aus riesigen, spärlich bewachsenen Schutthalden, die ihr einen besonderen, bizarren Reiz verleihen.
Mit der Passhöhe habe ich schon den höchsten Punkt der heutigen Etappe erreicht. Die Schufterei hat ein Ende. Das Vergnügen beginnt. Von nun an geht's bergab. Zunächst 700 Höhenmeter bis Monetier-Allemont, dann auf der D4 durch flaches Land, parallel zur Durance, über Thêse nach Sisteron.
Der Campingplatz in Sisteron ist schnell gefunden. Er ist von der
Hauptstraße aus nicht zu übersehen. Er liegt
idyllisch am jenseitigen, dem östlichen Ufer der Durance. Der
'Camping Municipal', ist zu dieser Jahreszeit nur schwach belegt. Ich
habe die Qual der Wahl und platziere mich direkt am Wasser. Und hoch
oben, auf der anderen Seite des Flusses, quasi die Engstelle des Tales
bewachend, thront erhaben die Zitadelle.
Sisteron, Marktplatz mit Uhrenturm