3. Etappe, von La Biolle nach St. Pierre-d'Entremont

Samstag/Sonntag 26./27. Mai 

In weiser Voraussicht habe ich mir für meine Campingaufenthalte ein aufblasbares Sitzkissen besorgt. Auf diesem sitze ich nun, den Rücken an den Stamm eines Apfelbaumes gelehnt und genieße den frisch gebrühten Kaffee, den ich mir mit Hilfe meines kleinen Gaskochers zubereitet habe. Dazu gibt es Baguette an Schinken und Käse. Die Sonne blinzelt durch das Laub der Bäume und die Vögel tirilieren im höchsten Diskant um die Wette. 

Eine romantische Idylle, könnte man meinen! Doch die Erinnerung an die vergangene Nacht im Zelt ist alles andere als berauschend. Gegen Morgen wurde es saukalt und ich fror wie ein Schneider. Die schmale, superleichte Plastikluftmatratze erwies sich als ziemlich problematisch. Sie bot nicht genügend Bodenfreiheit und scheint auch etwas undicht zu sein. Jedenfalls hatte ich heute Morgen das Gefühl auf dem blanken Boden geschlafen zu haben. Mein dadurch stark strapazierter Rücken trägt nicht unwesentlich zu der sich langsam verdichtenden Erkenntnis bei, dass ein Leben so ganz ohne Komfort, Romantik hin - Romantik her, ziemlich unbehaglich sein kann. 

Um 9 Uhr sitze ich wieder im Sattel und die Behaglichkeit kehrt zurück. Leicht abschüssig geht es zunächst auf der D1201 nach Aix-les-Bains am Lac de Bourget. Ich mache einen Abstecher zum See und schlendere, das Fahrrad schiebend, die dafür vorgesehene Promenade entlang. Auf der parallel dazu verlaufenden Straße herrscht reger Verkehr, er ist hektisch und laut und stört die morgendliche Beschaulichkeit des ansonsten nicht reizlosen Seeufers. 

Ich halte mich nicht lange auf, nehme in einer Bar noch schnell einen kleinen Kaffee und mache mich wieder auf den Weg. Auf der D991 verlasse ich Aix-les-Bains, überquere bei Drumettaz-Clarafond die Autobahn A41, folge der D211 bis 'Les Moulins de Montagny' und radle dann, wieder auf der D991, durch 'Chambery'. Der Verkehr hat vor Chambery merklich zugenommen um dann in der Stadt selbst in einem nervenaufreibendem Tohuwabohu zu gipfeln. Plötzlich befinde ich mich übergangslos auf einer autobahnähnlich ausgebauten Schnellstraße und weiß nicht wie ich da hin geraten bin. Ich nehme die nächste Ausfahrt und schlängle mich, immer der Nase nach, in Richtung Süden aus der Stadt hinaus. Auf der D912 verlasse ich schließlich das Stadtgebiet und es geht gleich richtig zur Sache. 

Es beginnt der Anstieg hinauf zum 'Col du Granier' (1134 m) im 'Massiv de Chartreuse', 940 Höhenmeter verteilt auf 12 km, was einer durchschnittlichen Steigung von 7,8 % entspricht. Die Strecke ist gespickt mit 10 %-tigen Passagen die einem schwerbepackten Radler alles abverlangen. Immer wieder bin ich gezwungen das Rad zu schieben und kleinere Erholungspausen einzulegen. Doch jede Quälerei hat mal ein Ende. Einigermaßen erschöpft erreiche ich schließlich die Passhöhe, die mich mit dem majestätischen Anblick des Mont Granier belohnt. 

Mont Granier

Mont Granier

Die beeindruckende, 700 m abfallende Nordwand des Granier ist das Resultat eines gigantischen Bergsturzes der sich in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1248 ereignete. Die Zahl der Menschen, die dabei umkamen wird auf 5000 geschätzt. Insgesamt stürzten 500 Millionen Kubikmeter Geröll und Schutt zu Tal. Der wahrscheinlich größte Erdrutsch in der Geschichte Europas ließ einen Teil des Bergmassivs quasi über Nacht einfach verschwinden. 

Mont Granier1 
Mont Granier, der Abbruch

Es ist hier oben ziemlich kühl, zumal wenn man dünne, durchschwitzte Radlerklamotten am Leib hat. Ich muss so schnell wie möglich wieder tiefere Gefilde aufsuchen. Da kommen mir die 500 Höhenmeter Gefälle bis zu meinem heutigen Etappenziel "Saint-Pierre-d'Entremont" sehr gelegen. Die ca. 10 km lange Abfahrt lässt mich entspannt und einigermaßen ausgeruht dort ankommen. 

St. Pierre d'Entremont 
Saint-Pierre-d'Entremont

Nach den Erfahrungen der vergangenen Nacht ist mir nicht nach Campen zumute. Ich mache mich auf die Suche nach einem geeigneten Hotel und werde schnell fündig. Meine Wahl fällt auf das "L'Herb Tendre". Es liegt direkt an dem kleinen Gebirgsflüsschen Cozon das den Ort durchzieht und ist über einen kleinen Steg zu erreichen. Außerdem hat das Hotel, wie sich später herausstellt, eine recht ordentliche Küche. Nach einer heißen Dusche genehmige ich mir in dem kleinen Biergarten am Bach noch ein kleines Bierchen. Es können auch 2 oder 3 gewesen sein. Wer zählt da schon so genau mit. 

Hotel 'L'herb tendre'

L'Herb Tendre

Der nächste Morgen wartete mit einer üblen Überraschung auf. Es regnete in Strömen! Nach dem tadellosen Wetter der vergangenen Tage deutete nichts auf einen Wetterumschwung hin. Dieser erwischte mich kalt! Oder nass! Egal! Jedenfalls an ein Weiterfahren war nicht zu denken. Und es regnete den ganzen Tag. In meinem Hotelzimmer drohte mir die Decke auf den Kopf zu fallen. So unternahm ich mehrmals kleinere Ausflüge durch die Gemeinde. Mein Regenzeug wurde zum wichtigsten Kleidungsstück. Irgendwie gelang es mir die Zeit bis zum Abendessen totzuschlagen. Um mich für den "verlorenen Tag" etwas zu entschädigen wählte ich ein ziemlich umfangreiches Menü, begleitet vom berühmten Wein der Gegend, einem erlesenen Appremont, der auf den ehemaligen Schutthalden des abgebrochenen Mt. Granier gedeiht. Mit der schwachen Hoffnung auf Wetterbesserung ging ich früh schlafen.

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