11. Etappe, von Aix-en-Provenve nach Cassis

Mittwoch 6. Juni 1984 

Die heutige, letzte Etappe war ziemlich stressig, besonders gegen Ende zu. Dabei ließ sich die Tour so gut an. Auf kleinen abgelegenen Straßen, zum Teil waren es asphaltierte Feldwege, absolut verkehrsfrei, gelange ich nach Gardanne. War der Verkehr bis etwa Roquevaire noch einigermaßen erträglich, so nahm er, je mehr ich nach Süden vorankam, ab Aubagne etwa, deutlich zu. Völlig entnervt erreichte ich schließlich am frühen Nachmittag den nördlichen Stadtrand von Cassis und, einem Hinweisschild folgend, den Campingplatz 'Les Cigales'. Der Platz ist sehr weitläufig und macht einen gepflegten Eindruck. Er ist gut belegt dennoch finde ich am Rande ein passendes, von Hecken umsäumtes Emplacement. Doch bevor ich mich mit dem Aufstellen des Zeltes befasse, muss ich erstmal meine aufgewühlten Nerven beruhigen. Ein kühles Bierchen in der Campingbar genügt, und ich bin wieder der Alte. Wo sind die Bäume, die ich jetzt ausreißen könnte? 

Cassis, Hafen
Cassis, Hafen

Ich dusche noch schnell und mache mich dann auf den Weg hinab zum Hafen, der 100 m tiefer liegt. Nach einem Fußmarsch von etwa 2 km durch die nicht reizlose Stadt empfängt mich der Trubel der Promenade. Hier findet das Leben statt. Die Flaniermeile ist flankiert von einer kunterbunten Aneinanderreihung von Bars, Restaurants und allerlei Andenkenläden. Die Bars sind schon gut besucht, zum Dinieren ist es noch zu früh. Ich reihe mich ein in den Strom der Müßiggänger. 

Die vor den Restaurants aufgestellten Speisekarten ziehen mich magisch an. Ich treffe schon mal eine Vorauswahl. Das Angebot an kulinarischen Köstlichkeiten ist beachtlich. 

In einer Buchhandlung kündet ein Plakat auf provenzalisch: "Qu’a vist Paris, se noun a vist Cassis, pou dire: n’ai rèn vist". Und darunter in französischer Übersetzung, etwa: "Wer Paris gesehen hat, und nicht Cassis, der hat nichts gesehen". Obwohl Cassis eine sehr schöne Stadt ist, ausgestattet mit dem ansprechenden Flair eines Mittelmeerhafens, finde ich den Spruch doch ziemlich großspurig, beinahe bayerisch ("Mir san mir!"). Lokalpatriotismus eben! Ich kaufe ein kleines Büchlein, 'Contes de Provence', eine Sammlung illustrierter Märchen aus längst vergangener Zeit, niedergeschrieben von Alphonse Daudet und Frederic Mistral. Etwas für vor dem Einschlafen! 

Cassis, Badestrand
Cassis, Badestrand

Ich schlendere weiter bis zum östlichen Ende der Bucht, wo sich ein öffentlicher Badestrand befindet. In der Ferne das nebelverhangene 'Cap Canaille'. 

Cap Canaille
Cap Canaille, die mit rund 400 Metern zweithöchste Steilküste Europas.

Es wird Zeit fürs Abendessen. Ich schlendere zurück zu den Restaurants. Meine Wahl fällt auf ein Lokal, in dem es 'Pieds et Paquets' gibt. Jetzt oder nie, ich muss es probieren.

Donnerstag 7. Juni 1984 

Geschmacklich war an den 'Pieds et Paquets' gestern Abend nichts auszusetzen. Dennoch war mir das Ganze reichlich suspekt, zu viel undefinierbares Gekröse und entschieden zu viele Knöchel. Vielleicht muss man Provenzale sein um dieses Gericht richtig würdigen zu können. Ich bin da möglicherweise schon etwas zu bayerisch vorgeprägt. Wenn schon Füße, dann die vom Schwein! Und dann knusprig gegrillt! Es geht halt nichts über Schweinshaxe mit Knödel und Krautsalat!! 

Als besondere Sehenswüdigkeit gelten hier in der Gegend natürlich die Calanques. Das sind enge, tiefe Einschnitte ins Kalkgestein der Küste zwischen Cassis und Marseille. Diese Minifiorde sind ein einzigartiges Naturspektakel. Besichtigen lassen sie sich entweder von See her, indem man eine entsprechende Schiffsfahrt von Cassis nach Marseille bucht, oder auf dem Landweg, indem man sich auf einen der vielen Wanderwege begibt, die das 20 km lange 'Massif des Calanques' durchziehen. 

Calanque de Port-MiouCalanque de Port-Miou

Ich ziehe den Landweg vor. Gleich nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg. Um mir die ermüdende Hatscherei durch die Stadt zu ersparen, benutze ich soweit es geht das Fahrrad. Über die 'Avenue des Calanques', sie beginnt unmittelbar am westlichen Ortsausgang, nach einem kleinen Badestrand, gelange ich direkt an das Ende der 'Calanque de Port Miou'. Das Fahrrad sperre ich, etwas versteckt, an einen kräftigen Baum. Dann geht's zu Fuß weiter. Zunächst auf einer unbefestigten Fahrstraße, später auf einem schmalen Pfad hinauf und hinüber zur benachbarten 'Calanque de Port Pin'. Die Landschaft ist atemberaubend, der Auslöser der Kamera kommt nicht zur Ruhe! Und dann die 'Calanque en Vau'. Sie ist die schönste. Der Blick von oben ist einfach umwerfend. Der weißen, mit spärlichen Bewuchs grün gesprenkelten Klippen, kontrastieren einzigartig mit den von türkis über grün nach tiefblau schimmernden Farben des engen Meeresarms. Ein berückender Anblick, von dem man sich nur schwer trennen kann. Bei näherem Hinsehen entdecke ich einige waghalsige Kletterer, die in Seilen und mit einem Drang nach oben, in den schroffen Kalksteinwänden hängen. Ich warte vergebens, dass mal einer herunter fällt und ins Wasser plumpst. 

Calanque en Vau
Calanque en Vau Cassis

Wandern, die beschauliche Art die Calanques zu erkunden!

Freitag 8. Juni 1984

Meinen letzten Tag in Cassis verbringe ich mit Baden und Lesen in einer an den großen Badestrand anschließenden Bucht. Sie ist etwas abgelegen, nur über einen schmalen Pfad zu erreichen und deshalb wohl kaum besucht. 


Cassis, wilder, etwas abgelegener Badestrand

Navigation 

Google maps