1. Etappe, von Genf nach Saint Blaise

Donnerstag 24. Mai  

Die schwülwarme, stickige Luft unter dem gewölbten Glasdach des Bahnhofs trifft mich wie ein Schlag. Eine Provokation für die oberen Atemwege! Aus München kommend, bin ich eben hier in Genf eingetroffen und strebe eiligst dem Ausgang zu. Nichts wie raus hier! Doch vorher muss ich noch zur Gepäckaufbewahrung, mein Fahrrad abholen. Vor drei Tagen hatte ich es zusammen mit den Satteltaschen in München aufgegeben und hoffe nun das Ganze unbeschädigt und vollständig in Empfang nehmen zu können. Am Gepäckschalter herrscht Hochbetrieb. Ungeduldig stehe ich in der Schlange und warte bis ich endlich an der Reihe bin. Dennoch trifft es mich etwas unvorbereitet, dass man hier nur französisch mit mir sprechen will. Ich muss erst mal meine noch tief im Unbewussten schlummernden Französischkenntnisse aktivieren, um dem Personal hinter dem Tresen klarzumachen, dass zu dem Fahrrad auch noch rote Satteltaschen gehören, ohne die ich mich hier nicht wegbewegen würde. Da mir natürlich der französische Ausdruck für 'Satteltasche' alles andere als geläufig ist, versuche ich es forsch einfach mal mit 'sac à selle rouge' und löse damit bei dem Schalterbeamten zunächst ein verständnisloses Stirnrunzeln aus. Ich sehe förmlich wie seine Gedanken mehr in Richtung Pferdetaschen tendieren und schiebe deshalb schnell noch ein '... de vélo' nach. An den sich entspannenden Gesichtszügen des Bahnbediensteten erkenne ich, dass meine Satteltaschenumschreibung einigermaßen ins Schwarze getroffen hat. Durch sein "Ah, des sacoches à vélo ..." erfahre ich so ganz nebenbei auch noch, wie man diese Gepäckstücke hier zu Lande zu nennen pflegt. Womit wieder einmal deutlich wird: "Reisen bildet!" 

Das Fahrrad scheint die Reise von München hierher gut überstanden zu haben. Die Satteltaschen sind etwas verstaubt, aber ansonsten in gutem Zustand. Zunächst geht es bei heftigem Verkehr in südwestlicher Richtung zur Stadtgrenze und nach Saint-Julien zum Grenzübergang nach Frankreich. Das Hinterrad hat während der Bahnreise doch was abbekommen. Es eiert und streift an der Felgenbremse. In der Nähe der Ortschaft Feigeres an der D37 bringe ich mittels Speichendreher, viel Geschick und Gefühl, die Sache in Ordnung. Nach getaner Arbeit ist eine kleine Ruhepause fällig. 

Bild1.1 Es muss rund laufen! 

Bild1.2
Nach getaner Arbeit, erst mal entspannen!

Eigentlich hatte ich vor nur aus Genf heraus zu radeln um dann in der näheren Umgebung einen Campingplatz aufzusuchen. Doch allmählich wird mir klar, dass mein Mini-High-Tech-Zelt heute wohl nicht mehr zum Einsatz kommen würde. Die Gegend macht einen sehr ländlichen, verlassenen Eindruck, fernab jeglicher Betriebsamkeit. Kein Campingplatz weit und breit, auch kein Hinweis auf einen solchen! Ich hätte mich eben vorher schlau machen sollen. Wozu gibt es Campingführer? Da mir bisher auch kein geeigneter Gasthof aufgefallen ist, mache ich mich schon mal mit dem Gedanken vertraut, die heutige, erste Etappe, als 'wilder Camper' abseits in den Büschen beschließen zu müssen. 

Erfreulicherweise ist es dann doch nicht so weit gekommen. Ich entschied mich letztlich, die zwar nervenschonende, aber doch etwas zu abgelegene Gegend zu verlassen und ab Beaumont mein Glück entlang der verkehrsreicheren D1201 zu versuchen. Nach einem kräftezehrenden und schweißtreibenden Anstieg hinauf zum 'Col de Mont Sion' (780m), erscheint auf der Passhöhe links das 'Hotel Ray'. Es ist noch ein Zimmer frei. Ich bin gerettet.

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