9. Etappe, von Louhans nach Cluny

Sonntag 1.6.86

Gegen Morgen wird es empfindlich kalt. Schlaftrunken, auf der Suche nach wärmender Kleidung, taste ich im Halbdunkel meine Umgebung ab. Mit dem Anorak und einem Handtuch decke ich mich notdürftig zu. Die Beine bleiben kalt und das aufgehäufte Zeug verrutscht immer wieder. Keine Chance wieder einzuschlafen! Ich friere entsetzlich und bin froh als es langsam hell wird und ich endlich mein eisiges Nachtlager verlassen kann. Meine Muskeln sind verspannt, die Glieder steif vor Kälte. Jede Bewegung schmerzt und verursacht leise knackende Geräusche in den Gelenken. Da hilft nur eins, eine heiße Dusche! Von der Aussicht auf wohlige Wärme beflügelt, strebe ich eilig den Waschräumen zu. Die Duschkabinen sind alle frei. Weit und breit ist niemand zu sehen. Es herrscht eine ungewöhnliche Ruhe. Das gibt mir zu denken, kommt mir sehr verdächtig vor. Ich drücke den Warmwasserknopf der Dusche. Nichts passiert, das begehrte, wärmespendende Nass bleibt aus. Ich drücke noch mal, versuche es in der Nachbarkabine, nichts! Mein von Anfang an latent vorhandener Verdacht reift zur Gewissheit. Die Anlage hier ist noch nicht in Betrieb, und ich bin wahrscheinlich zurzeit der einzige Gast auf dem Gelände. Es stehen zwar einige Caravans herum, aber die machen einen verlassenen, irgendwie eingemotteten Eindruck. Ade Wärme und Behaglichkeit! Das Kaltwasser fließt. Schnell erledige ich meine Morgentoilette. Anschließend schlürfe meinen frischgebrühten Pulverkaffee, verbrenne mir dabei mehrmals die Zunge und packe nebenher das Zelt und die übrigen Utensilien ein. Da ich gestern bei meiner Ankunft nicht im Voraus bezahlen konnte, möchte ich dies nun nachholen, doch das kleine Blockhaus mit dem Schild 'Rezeption' über der Eingangstür ist verwaist. Ich studiere noch einmal das Plakat mit den Tarifen und den allgemeinen Verhaltensregeln und lerne dabei, dass der Platz erst ab heute, dem 1. Juni geöffnet ist.

Nach kurzem Überlegen komme ich zu dem Schluss, dass mein Aufenthalt hier eigentlich noch gar nicht zählt. Um dem eventuell doch vorhandenen Personal Peinlichkeiten bei der Abbuchung der Platzgebühr zu ersparen, verzichte ich aufs Zahlen und stehle mich lautlos davon.

Der erste Tag im Sommermonat Juni zeigt sich nicht gerade von seiner besten Seite. Es ist für die Jahreszeit einfach zu kalt. Der Himmel ist stark bewölkt bis bedeckt, aber wenigstens scheint es trocken zu bleiben. Auf der D12 geht's zunächst über Montpont und Romenay nach Pont-de-Veau. Von dort aus ist es nur noch ein Katzensprung zur Saône, die ich auf der D933 überquere.

Saone
Brücke über die Saone bei Fleurville.

Der Fluss hat hier, etwa 80 km vor seiner Mündung in die Rhône, eine beachtliche Breite. Die bisher eher flache Landschaft wird nun etwas hügeliger. Kurz nach Azé gibt es dann mit 250 Höhenmetern noch einen richtigen Anstieg, der sich über eine Länge von 5 km hinzieht. Nach einer etwa ebenso langen, rasanten Abfahrt erreiche ich schließlich Cluny und beschließe diesen geschichtsträchtigen Ort zu meinem heutigen Etappenziel zu machen.

Die Erinnerung an die Zitterpartie der letzten Nacht hat meine Lust aufs Campen doch sehr gedämpft und lässt mich schnurstracks ein Hotel aufsuchen. Das 'Hotel de Comerce' hat einen Michelin Stern und ist recht ordentlich, wenn auch etwas teuer. Nachdem ich geduscht und mich stadtfein gemacht habe ist mir nach feinem Essen zu Mute. Ich mache mich auf die Suche nach einem geeigneten Restaurant.

ClunyCluny

Im 'Hotel de Bourgogne***' an der Place de L'Abbaye, werde ich schließlich im ersten Stock eines völlig von wildem Wein umrankten Hauses fündig. Ich wählte ein Menü, bestehend aus Salade aux Lardons, Terrine de la Maison, Boeuf Bourguignon, Plateau de Fromage. Dazu mundete vorzüglich ein roter 'Côte de Provence'.

Vielen wird Cluny noch aus dem Geschichtsunterricht als Sitz einer berühmten Benediktiner Abtei in Erinnerung sein. Von dem einst mächtigen Klosterkomplex sind heute nur noch kümmerliche Reste zu sehen.

 Kümmerliche Reste

Cluny, Abtei, und was davon geblieben ist!

Es gibt aber Computersimulationen mit deren Hilfe es möglich ist in der künstlerisch sehr beeindruckend rekonstruierten Abtei virtuell spazieren zu gehen.

Die Stimme der Abtei von Cluny ließ einst Monarchen erzittern. Ihre Macht innerhalb des Christentums wurde nur von der des Papstes in Rom übertroffen. Ihr intellektueller Einfluss war jedoch zweifellos größer. Gegründet im Jahre 909, war die Abtei gegen Ende des 11. Jahrhunderts der spirituelle Mittelpunkt der damaligen christlichen Welt. Auf dem Höhepunkt seiner Macht waren etwa 10000 Mönche und 1200 Klöster in ganz Europa im Einflussbereich ihrer Autorität. Den Mönchen war, gemäß der strengen Satzung des heiligen Benoît, verschärftes 'Beten und Arbeiten' auferlegt. Es gab eben damals noch keine Gewerkschaften, die sich um die Einführung humaner Bedingungen am Arbeitsplatz gekümmert hätten. Zu dieser Zeit genoss die Abtei, nicht zuletzt auch wegen ihres Reichtums, völlige Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber den weltlichen und kirchlichen Mächten, und war nur dem Papst in Rom unterstellt. Der Niedergang ihres Einflusses ging einher mit den zunehmend weltlichen Verstrickungen innerhalb des Feudalsystems. Dies veranlasste im 12. Jahrhundert Bernard von Clairvaux zu heftiger Kritik am Klüngel von Macht und Geld. Er forderte die Rückbesinnung auf die strengen Regeln der Gründerzeit.

Der 1173 heilig gesprochene und 1830 zum Kirchenlehrer ernannte Bernhard war ein unerbittlicher Zelot und Mystiker, ein glühender Verfechter der Kreuzzüge. Zu ordentlicher Körperpflege scheint er ein eher problematisches Verhältnis gehabt zu haben, wird ihm doch nachgesagt, er hätte sich, in religiösem Eifer und ganz in der Tradition christlicher Leibfeindlichkeit, zu der Behauptung verstiegen, nur wer deutlich stinke sei wahrhaft fromm und zeige damit wie sehr er seinen weltlichen Leib verachte. (Herbert Rosendorfer, Deutsche Geschichte, Band 2)

Erst die Französische Revolution bereitete den Privilegien der Kirche und ihren vielfältigen Pfründen ein vorläufiges Ende. Die aus dem 11. Jahrhundert stammende Kirche, die zweitgrößte nach dem Petersdom in Rom, wurde im Jahre 1810 abgetragen. Heute sind nur noch einer der achteckigen Glockentürme, das südliche Querschiff und einige Kapitele seiner mächtigen Säulen vorhanden.

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