4. Etappe, von Baden nach Solothurn

(Generalkarte CH 1: 47°13' Nord, 7°33' Ost)

Dienstag 27.5.1986

Ich verlasse Baden auf der A1 in Richtung Mellingen - Lenzburg. Das Wetter ist sonnig bis bewölkt, der Wetterbericht prophezeit ein anrückendes Tief vom Atlantik her. Ich komme gut voran. Im Nordwesten kommen die ersten Höhenzüge des Jura in Sicht.


Jura

Nach etwa 50 km, in Murgenthal, wechsle ich von der A1 über Wolfwil nach Oensingen zur A5. Das Wetter hat sich inzwischen erheblich verschlechtert und ich bezweifle immer mehr, ob ich das für heute angestrebte Etappenziel Biel noch trocken erreichen werde. In Solothurn werden die Zweifel zur Gewissheit: Ich werde es nicht schaffen! Es sieht bedrohlich nach Gewitter aus, und ich beschließe für heute Schluss zu machen. Auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht habe ich zunächst kein Glück. Zwei kleinere Hotels am Stadtrand sind komplett. In der Innenstadt, im 'Solothurner Hof', einer renommierten alten Bettenburg, ist dann doch noch was frei. Das Velo erlaubt man mir freundlicherweise im Gang des Küchenkellers abzustellen.

Solothurn
Solothurn

Nun öffnet der Himmel seine Schleusen und ein mit riesigen Hagelkörnern garnierter Platzregen prasselt hernieder. Das alles lässt mich jedoch ziemlich kalt, denn ich sitze mittlerweile im gemütlichen Gästeraum des Hotels und warte auf das Abendessen. Als Entschädigung für die Strapazen des Tages leiste ich mir ein stattliches Menu. Züricher mit Rösti an etlichen Bierchen. Radfahren macht durstig.

Am nächsten Morgen, ich hatte gerade geduscht, klopft es an meine Tür. Verwundert denke ich: "Nanu, wer kann das sein? Etwa der Zimmerservice mit dem Frühstück? Ich hab doch gar nichts bestellt." Ich rufe: "Herein!" - Nichts tut sich. Nach einiger Zeit nochmaliges Klopfen, diesmal deutlich energischer. Nichts Gutes ahnend lege ich das Rasierzeug beiseite, gehe zur Tür und öffne. Draußen steht in einem modisch grünbraungelbschwarzen Tarnanzug, ein Abgesandter der schweizerischen Armee. Über seiner rechten Schulter trägt er ein respekteinflößendes Schießgewehr. In originalem 'Switzer Dütsch' gibt er mir zu verstehen, dass er jetzt sofort mein Zimmer requirieren müsse. Ich bin etwas verdutzt, verstehe nur "Zimmer" und "requirieren" und kann mir darauf absolut keinen Reim machen. Nach einem Moment der Sprachlosigkeit frage ich verdattert: "Was ist los?" Geduldig erklärt er mir nun, diesmal in einem Anklang von Hochdeutsch, es sei Manöver, und sie müssten hier Quartier machen, und das sei halt in der Schweiz so üblich, und seine Leute würden in einer Stunde anrücken, und es wäre gut, wenn das Zimmer bis dahin frei wäre. Ich neige von Natur aus nicht zum Heldentum. Deshalb schlucke ich das mir schon auf der Zunge liegende ".... Unverschämtheit! ...kommt gar nicht in Frage!.... schließlich habe ich für das Zimmer bezahlt!" einfach hinunter. Ich bin Realist genug, um mir, allein gegen die eidgenössische Armee, keine allzu großen Siegeschancen einzuräumen. Angesichts von soviel höherer Gewalt gebe ich klein bei, zeige mich kooperativ und verspreche das Feld, beziehungsweise das Zimmer, zügig zu räumen. Das fällt mir einerseits nicht besonders schwer, da ich ohnehin vor hatte zeitig aufzubrechen. Andererseits fühle ich mich doch etwas überrumpelt und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, soeben Opfer eines regelrechten und staatlich sanktionierten Rausschmisses geworden zu sein. Allein meinem geschickten, äußerst sensiblen Verhalten ist es zu verdanken, dass dieser Zwischenfall folgenlos blieb, und nicht zu ernsthaften diplomatischen Verwicklungen führte.

Solothurn, Markt
Solothurn, Markt

Tiefhängende Wolken und wiederholte Regenschauer verzögern meinen Aufbruch. Ich nütze die Zeit für einen Rundgang durch die nicht reizlose Altstadt wo gerade ein Blumenmarkt stattfindet. In einem Café warte ich auf Wetterbesserung.

Meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Es regnet ununterbrochen bis Mittag. Eingehüllt in den Regenumhang streife ich zum wiederholten male durch den Blumenmarkt und die Altstadt. Solothurn wird mir langsam vertraut und im Café am Marktplatz, wohin ich immer wieder zurückkehre, bin ich schon beinahe Stammgast. Wenn das so weiter geht muss ich mich noch nach einem neuen Quartier für die Nacht umzusehen. So um die Mittagszeit nutze ich eine Regenpause zum Aufbruch.

Soloturn, von der Brücke
Solothurn, von der Brücke

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