3. Etappe, von Markdorf nach Baden

(Generalkarte CH 1: 47°29' nord, 8°18' ost)

Montag 26.5.86

Die Sonne ist eben aufgegangen und blinzelt durch das lichtgrüne Frühlingslaub der Birken, die den Campingplatz von Markdorf nach Osten hin begrenzen. Endlich, die Nacht ist vorüber!  Was für eine Nacht! Ich habe miserabel geschlafen und versuche nun mittels gymnastischer Übungen meine steifen Glieder wieder etwas gelenkiger zu bekommen. Die Superleicht-Miniluftmatratze ist äußerst gewöhnungsbedürftig, und außerdem ist sie nicht dicht, was ihre ohnehin schon geringe Bequemlichkeit gegen null gehen lässt. Sie ist in allen drei Raumrichtungen unbefriedigend: Sie ist zu schmal, zu kurz und zu dünn. Letzteres führt schon bei geringem Druckverlust sehr schnell zu unangenehmem Bodenkontakt und in der Folge zu massiven Schlafstörungen. Ein gnadenloses Marterinstrument! Ihr einziger Vorzug: Sie lässt sich sehr klein falten und nimmt wenig Platz ein. Dennoch werde ich mich von diesem Spitzenerzeugnis der kunststoffverarbeitenden Industrie wohl trennen müssen, falls es mir nicht gelingt sie zu dichten.

Die Meersburg

Die halbdurchwachte Nacht verlangt nach einer Entschädigung, also leiste ich mir, nachdem ich meine Sachen zusammen gepackt habe, ein ordentliches Frühstück im Campingplatzrestaurant. Allmählich finde ich wieder Gefallen an der Welt, meine Laune bessert sich. Gemächlich rolle ich kurze Zeit später auf leicht abschüssiger Bahn in Richtung Bodensee. Im Hafen von Meersburg wartet schon eine gleichnamige Fähre um mich ans andere Ufer nach Konstanz zu bringen. Kaum bin ich an Bord, da legt sie auch schon ab. Ein gutes Timing ist eben alles und erspart unnötige Wartezeiten.

Bodensee

Das Wetter ist etwas trübe aber nicht unfreundlich. Über dem spiegelglatten See schwebt noch feiner Dunst. Eine friedliche Stimmung breitet sich aus, nur das gedämpfte Tuckern des Schiffsdiesels ist zu hören. Die kurze Überfahrt verbringe ich an der Bar bei einer Tasse Kaffee. Ungeduldig bin ich unter den ersten die die Fähre verlassen. Der Drang weiter zu kommen ist übermächtig. Erfolgreich kämpfe ich mich zunächst durch den morgendlichen Berufsverkehr, bringe dann auch noch Kreuzlingen unbeschadet hinter mich und erreiche schließlich die A1, der ich über Müllheim und Frauenfeld in Richtung Winterthur zu folgen gedenke.

Der Verkehr, der sich anfangs noch in Grenzen hält, steigert sich, je mehr ich mich  Frauenfeld nähere zur Plage. Er wird schließlich zum Inferno, jedenfalls für einen an den äußersten Straßenrand abgedrängten Radler. Außerdem besteht der Straßenbelag über weite Strecken aus  schlecht oder gar nicht verfugten Betonplatten, die den Fahrkomfort erheblich mindern.  Das monotone "tap tap .. tap tap" beim Überfahren der Stöße erinnert sehr an Eisenbahnfahrten in grauer Vorzeit. Das alles geht mir schon bald gewaltig auf die Nerven. Als dann auch noch ein närrischer Verkehrsrowdy mit seinem PS- strotzenden Potenzverstärker aus Bayern laut hupend und viel zu nah an mir vorbei zischt, und ich vor Schreck beinahe im Straßengraben lande, ist das Maß voll.

Siesta

Bei nächster Gelegenheit, ab Frauenfeld, verlasse ich die A1 und weiche auf weniger befahrene Nebenstraßen aus.  Das Gelände ist jetzt zwar bedeutend welliger,  dafür aber herrscht hier eine paradiesische Ruhe. Ich passiere Dörfer mit so typisch schweizerisch klingenden Namen wie Bäthelhusen, Ellikon, Welsikon und Rutschwil.

Mittags mache ich Rast in einem kleinen Wäldchen. Ich genieße die herrliche Stille um mich herum, das Singen der Vögel, das Summen der Insekten und  ein kleines Bierchen. Sitzend, an einen Baumstamm gelehnt, gelingt mir sogar ein kleines Nickerchen. Ausgeruht und zufrieden setze ich nach einer ausgiebigen Siesta die Reise fort, umgehe großräumig Winterthur und erfreue mich an der abwechslungsreichen Landschaft. So mag ich's, so macht Radfahren Spaß. Kurz vor Bülach passiert es dann.

Ich bin gerade dabei eine längere Steigung hoch zu hecheln und möchte mit Hilfe der 10-Gang-Positionsschaltung meinen Krafteinsatz etwas verringern. Ich bewege also den Schalthebel aus der Stellung 'jugendlich-kraftvoll' in Richtung 'Frührentner', doch nichts passiert, es ist lediglich ein leises Knacken zu vernehmen. Augenblicklich wird mir dessen Bedeutung klar. Das kann nur eines bedeuten, der Schaltdraht zum Kettenumwerfer am Hinterrad ist gebrochen. In Bülach, wo ich mich sofort auf die Suche nach einem Fahrradgeschäft mache, erfahre ich, dass in der Schweiz die meisten Läden montags geschlossen halten. Die Reparatur muss also bis morgen warten. Unter erschwerten Bedingungen setze ich nun die Fahrt fort, steige, wenn es allzu steil wird ab und lege die Kette auch schon mal von Hand um. Dennoch erreiche ich auf diese etwas umständliche weise schließlich die Stadt Baden und den Hinweisschildern folgend auch den dortigen Campingplatz. 

Die Leitung des Platzes liegt in den Händen einer ziemlich resoluten Frau mittleren Alters. Als ich mich bei ihr anmelde, fällt ihr Blick sofort missbilligend auf meine von Kettenschmiere geschwärzten Hände. Meine entschuldigenden Erklärungen hierzu lässt sie nicht gelten. In der Schweiz ist Sauberkeit eben eine der ersten Tugenden und Reinlichkeit somit Bürgerpflicht. Erst als ich, auf ihr inquisitorisches  Befragen hin, berichte, dass ich vor 3 Tagen in München aufgebrochen sei und die ganze Strecke hierher mit dem Fahrrad zurückgelegt habe, wird sie zugänglicher. Und als ich ihr dann noch anvertraue, dass vor habe nach Bordeaux an die französische Atlantikküste zu radeln, ist das Eis vollends gebrochen. Ja, ich  glaube sogar einen leichten Schimmer von Bewunderung in ihren Augen wahrzunehmen.

Der Platz ist fast leer und ich schlage mein  Zelt auf einem kleinen Hügel inmitten einer großen Wiese auf. Dann beschäftige ich mich mit der Superleicht-Miniluftmatratze. Das Leck ist schnell gefunden und mit Fahrradflickzeug abgedichtet. Ich bezweifle allerdings, dass der Flicken auf dem Hightech-Kunststoff hält. Anschließend gibt's dann Eintopf, von der Patronin selbst gekocht. Zusammen mit zwei weiteren Campingfreunden sitze ich an einem riesigen Tisch und verlange noch einen Nachschlag, der auch prompt gewährt wird, jedoch mit der kategorischen Bemerkung "aber aufessen!". Irgendwie geht es hier sehr familiär zu, und Muttern hat alles bestens im Griff. 

Am nächsten Morgen schlüpfe ich noch vor Sonnenaufgang widerstrebend aus dem warmen Schlafsack und erledige fröstelnd meine Morgentoilette.  Erstaunt stelle ich fest, dass die Matratze dicht geblieben ist. Alles schläft noch. Aus einem nicht allzu weit entfernten Zelt tönen dezente, gleichmäßig auf- und abschwellende Schnarchgeräusche. Ansonsten ist es ganz still. Es gibt nichts friedlicheres als einen Campingplatz im Morgengrauen. Ich schlürfe meinen heißen Kaffee und kaue an einem alten mit Käse belegten Vollkornbrot. Zu so früher Stunde ist die Welt noch in Ordnung. Doch da scheint der Schnarcher von nebenan  die Kontrolle über seinen Gaumen zu verlieren. Er gibt beunruhigend abgehackte Röchellaute von sich. Ich bin besorgt und entsinne mich einer bereits im Tierversuch, an unserem Cocker Spaniel Nicka getesteten Antischnarchtherapie. Dabei geht es darum, den Schnarcher durch ein akustisches Signal aus dem Schnarchrhythmus zu bringen. Ich ergreife also ein kleines Steinchen und werfe es gegen die Zeltwand. Das dumpfe Geräusch des Aufpralls erreicht das Ohr des Schläfers, dringt in sein Kleinhirn ein und trifft dort im Schnarchzentrum offenbar die richtigen Synapsen. Augenblicklich kehrt Ruhe ein. Zufrieden mit dem Ergebnis meiner guten Tat setze ich mein Frühstück fort und bereite mir noch eine zweite Tasse Kaffee. Doch der Erfolg meiner Rettungsaktion hält nicht lange an. Das Schnarchen beginnt erneut, und schlimmer als zuvor. Von meiner Therapie tief enttäuschet, beschließe ich auf weitere Experimente zu verzichten. 

Lautlos  packe ich meine Sachen zusammen, schwinge mich aufs Rad und mache mich in Richtung Innenstadt davon. Bevor ich die Tour fortsetzen kann, muss zuerst die Gangschaltung in Ordnung gebracht werden. Auf der Suche nach einem Fahrradgeschäft durchstreife ich spähend die anheimelnden Altstadtgässchen, ohne Erfolg. Schließlich werde ich, der Wegbeschreibung eines Passanten folgend, doch noch fündig, irgendwo am Stadtrand.

Baden, hölzerne Brücke

Das Glück meint es gut mit mir, und das auf zweifache Weise. Der Laden hat nicht nur nicht geschlossen, sondern auch noch den benötigten, wegen der Positionsschaltung etwas exotischen Baudenzug vorrätig. Dieser ist zwar etwas zu lang, aber es gelingt mir die überschüssige Länge durch geschickte Verlegung am Fahrradrahmen irgendwie unterzubringen. Die Schaltung ist schnell justiert und die Kette springt nun wieder wunschgemäß munter von Zahnkranz zu Zahnkranz. Auch die Extrempositionen 'bärenstark' und 'letztes Aufgebot' lassen sich mühelos einstellen. Es geht halt nichts über eine funktionierende Technik. Am späten Vormittag verlasse ich dann Baden, nicht ohne schlechtes Gewissen. Für die malerische Altstadt hätte ich mir doch etwas mehr Zeit nehmen müssen. Sie ist wirklich sehenswert. Leider besitze ich nur ein einziges Foto, das der hölzernen Brücke über die Limmat.

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