2. Etappe, von Biessenhofen nach Markdorf

(Generalkarte D 24: 47°43' nord, 9°24' ost)

Sonntag 25.5.86

Ich stehe zeitig auf und fühle mich gut in Form. Von den Bierchen gestern Abend war offensichtlich keines schlecht! Während des Frühstücks nehme ich mir noch einmal die Karte vor und mache mich mit der heutigen Strecke vertraut. Ich suche den markierten Straßenverlauf nach Steigungen ab und präge mir die Namen der am Wege liegenden Ortschaften ein, wohlwissend, dass ich die meisten davon doch gleich wieder vergessen werde. Wenig später verzurre ich die Satteltaschen wieder mit dem Fahrrad. Ich hatte sie mit aufs Zimmer genommen, da mir der zwar überdachte, aber offene Parkplatz zu unsicher schien. Ich führe zwar keine Reichtümer mit mir, dennoch ist mir der Inhalt dieser Taschen teuer, und ich möchte ihn momentan nicht missen. Er beschränkt sich auf das für eine solche Tour unbedingt Nötige.

Da sind zum einen die Campingsachen wie Zelt, Luftmatratze, Luftsitzkissen, Schlafsack, Gaskocher und Essgeschirr, alles in superleichter Miniausführung, und zum anderen die Kosmetiksachen wie Nassrasierzeug, Zahnpasta und -bürste, Seife, Haarshampoo, Nagelschere und Sonnenschutzkreme, kunterbunt und platzsparend in eine Plastiktüte gewickelt. Einen Großteil des Stauraumes beansprucht die Kleidung. Sie setzt sich zusammen aus der variablen Abendausgehgarnitur, bestehend aus einer leichten, langen Sommerhose und zwei Polohemden, einem wattierten Anorak für die kalten Tage, einem Regenumhang, zwei lederbewährten Fahrradhosen, zwei Fahrradtrikots, einem Trainingsanzug, sechs Paar Socken und ebenso viele Unterhosen.

Es ist klar, dass angesichts dieser etwas spärlichen Garderobe hin und wieder ein Waschtag eingelegt werden muss, weshalb sich in einer weiteren Plastiktüte, neben so nützlichen Dingen wie dem Fahrradwerkzeug, einem Ersatzschlauch und einer Taschenlampe auch eine Tube mit Flüssigwaschmittel befindet.

So bepackt, bringen die Satteltaschen gut und gerne ein Gewicht von 10 kg auf die Waage, beziehungsweise den hinteren Gepäckträger. Der über dem Vorderrad montierte Träger dient zur Aufnahme der Fototasche. In ihr befindet sich das Fotozeug, bestehend aus einer Spiegelreflexkamera mit Zoom-, Tele- und Weitwinkelobjektiv und einem Ministativ. Aber auch das gesamte Kartenmaterial, ein Reiseführer für die französische Atlantikküste und ein kleines deutsch-französisches Wörterbuch sind darin untergebracht. Insgesamt bringt die Fototasche ein Gewicht von ca. 4 kg und damit eine gewisse Trägheit auf die Vorderradachse. Spontane Richtungsänderungen sind dadurch kaum noch möglich. Der Lenkvorgang muss deshalb überwiegend durch Gewichtsverlagerung bewirkt werden was eine etwas vorausschauende Fahrweise erfordert.

 
Die Luft ist warm, es weht eine laue Brise aus Südwest und ein föhnig blauer Himmel lässt heitere Stimmung aufkommen. Es gibt nichts Erhebenderes als an einem ruhigen Sonntagmorgen mit dem Fahrrad auf verkehrsarmen Straßen durch eine taufrische Frühlingslandschaft zu gleiten. Fliegen kann nicht schöner sein! Hügelauf, hügelab, unablässig ziehe ich gegen Westen. Mittags mache ich an einem kleinen See Rast und verspeise meinen letzten, noch von zu Hause mitgebrachten Proviant. Faul liege ich anschließend im tiefen, mit Löwenzahn garnierten Gras und genieße die wärmende Sonne.

Mittags am See

Ringsum himmlischer Friede, nur das Summen der Bienen, die sich am Löwenzahn zu schaffen machen, ist zu vernehmen. Ich habe Mühe mich wach zu halten. Es will mir nicht so recht gelingen. Überwältigt von soviel Ruhe, dämmere ich langsam hinüber in einen erholsamen Mittagsschlaf, wie ihn wohl nur noch Beamte kennen. Ich möchte hier nicht missverstanden werden. Nichts liegt mir ferner als in den Chor derer mit einzustimmen, die sich über den Arbeitsstiel dieser Berufsgruppe lustig machen. Nein, im Gegenteil! Neuere Untersuchungen in den USA bestätigen nämlich, was deutsche Beamte wohl schon immer instinktiv gewusst haben müssen. Der durch einen etwa zweistündigen Mittagschlaf verursachte Arbeitsausfall wird durch die dadurch erzielte Leistungssteigerung am Nachmittag mehr als kompensiert. Man müsste vielleicht noch erforschen, wie es sich mit dem allgemeinen und gewöhnlichen Büroschlaf verhält, und wo die Grenzen liegen. Hier schlummert bestimmt noch eine Menge die Arbeitseffizienz steigerndes Potential.

Diese Problematik aus dem Berufsleben beschäftigt mich noch als ich längst wieder unterwegs bin. Frisch gestärkt überwinde ich nun wieder mühelos Hügel um Hügel. Mir wird warm und ich preise den Fahrtwind, der mir während der Talfahrten willkommene Kühlung verschafft. Die Bodenseegegend rückt näher und es wird Zeit mich nach einem Zeltplatz umzusehen. Doch der Landstrich hier scheint in dieser Hinsicht etwas unterversorgt zu sein. In Markdorf endlich sehe ich eine entsprechende Ausschilderung. Sie führt mich ins nahe Bergheim. Der Campingplatz dort macht einen passablen Eindruck. Er ist fast ausschließlich mit Wohnwagen belegt. Unter den teils verwunderten, teils herablassenden Blicken ihrer Bewohner errichte ich das Superleicht-Minizelt etwas abseits der komfortablen Wagenburgen. Dann verziehe ich mich in den Waschraum um mich unter einer heißen Dusche zu regenerieren.

Später, auf der Terrasse des Platzrestaurants, genehmige ich mir nach dem Essen noch einen Schlummertrunk. Entspannt genieße ich die letzten Strahlen der Sonne, bevor sie allmählich als große Scheibe, blutrot hinter dem Horizont versinkt.

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