10. Etappe, von Cluny nach Charlieu

Montag/Dienstag 2./3. 6.86

Ich habe verschlafen und komme erst gegen 8 aus den Federn. Trotzdem nehme ich mir die nötige Zeit um das gutsortierte Frühstücksbüffet im Hotel Commérce ausgiebig zu würdigen. Entsprechend gestärkt, und nach dem Genuss eines halben Eimers 'Café au lait' auch wieder einigermaßen wach, trete ich eine Stunde später schon wieder mächtig in die Pedale. Ich verlasse Cluny auf der D 980 in südwestlicher Richtung. Es ist kühl und ich muss mich erst einige Hügel hinauf wuchten bis mir warm wird. Der Wettergott scheint mir wieder einmal nicht besonders gewogen zu sein. Der Himmel zeigt sich bedeckt und trägt sein eintönigstes Grau. Meine Route windet sich durch typisches Bauernland, vorbei an blühenden Rapsfeldern, durch lichtgrüne Wälder und vereinzelte, weit auseinanderliegende Dörfer und Weiler. Ich bin mächtig in Form. Selbst der 556 m hohe 'Col de la Croix d'Auterre' mit seinem reizvollen Anstieg, der gleich hinter der Ortschaft 'Matour' beginnt, stellt mit seinen 220 Höhenmetern kein ernsthaftes Hindernis dar.

Schloss in Clayette Schloss in Clayette

Gegen Mittag bessert sich auch noch das Wetter und die wässrige, fahlgraue Wolkendecke bekommt blaue Lücken. In La Clayette brechen schon die ersten Sonnenstrahlen durchs löchrige Gewölk, um just zur rechten Zeit das dortige Schloss zu illuminieren. Das von einem Wassergraben umschlossene alte Gemäuer taucht, für mich völlig überraschend, urplötzlich und schemenhaft in der Landschaft auf. Es wird in keinem meiner Reiseführer erwähnt. In der Michelinkarte findet sich zwar ein symbolischer Hinweis, der ist aber leicht zu übersehen. Die mittelalterlich anmutende Burganlage befindet sich nicht nur in gutem Zustand, sondern obendrein auch noch in Privatbesitz. Ha! Sie ist bewohnt und ihr Interieur kann nicht von jedem X-Beliebigen besichtigt werden. Da auch ich nicht zu diesen Auserwählten gehöre, muss ich mich mit dem äußeren Augenschein zufrieden geben. Ich banne noch geschwind dieses feudale Kleinod auf Zelluloid und mache mich wieder auf den Weg.

Am späten Nachmittag erreiche ich Charlieu. Es ist doch noch ein strahlender Tag geworden. Die Sonne scheint warm und ich beschließe hier mein Zelt aufzuschlagen. Nach kurzem Suchen finde ich auch den im Michelinführer angepriesenen 'Camping Municipal'. Der Platz macht einen guten Eindruck. Seine großzügigen 'Emplacements' sind durch hüfthohe Hartlaubhecken voneinander abgegrenzt.

Superleicht-Minizelt Superleicht-Minizelt

Zu dieser Jahreszeit ist der Platz nur schwach belegt und das freundliche Personal in der Rezeption hat Zeit mir seine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ich werde nach allen Regeln der Kunst ausgefragt. Woher ich käme, wie lange ich schon unterwegs sei, welche Route ich genommen habe, wohin ich noch fahren werde und so weiter und so weiter... Ich erteile, soweit mein Französisch dies zulässt, bereitwillig Auskunft, schmücke einige Details kräftig aus und schrecke selbst vor schamlosen Übertreibungen nicht zurück.

Man ist beeindruckt und bietet mir alsbald die Benutzung eines leerstehenden Campingwagens an. Ein kurzer Blick ins Innere rät mir aber, dankend abzulehnen. Jedoch erweckt ein gut erhaltener Campingtisch mit dazugehörigem Sitzmöbel mein Interesse. Man ist sehr entgegenkommend und überlässt mir diesen, unter Primitivcampern eher ungewöhnlichen Luxus. Das Superleicht-Minizelt ist schnell aufgebaut, und die anschließende heiße Dusche im vorbildlich gepflegten, 'Bloc-Sanitaire' bringt die abgeschlafften Lebensgeister schnell wieder zurück.

Delikatessen

                         Delikatessen

Nun beginnt der gemütliche Teil! Die unterwegs besorgten Delikatessen wie Baguette, Käse, Wurst und Wein, zieren alsbald meine Tafel und es folgt ein ausschweifendes Mahl. Was will man mehr! Der kräftige Rotwein, ein 'Coteaux d'Aix en Provence', beginnt zu wirken und sorgt mehr und mehr für eine angenehm entspannte Atmosphäre. Langsam senkt sich die Nacht hernieder und bei Kerzenschein genieße ich den lauen Abend. Ich gerate ins Schwärmen, bin mit dem bisherigen Verlauf der Tour voll und ganz zufrieden und beschließe bei einem letzten Glas hier in Charlieu einen Ruhetag einzulegen.

Am nächsten Morgen nutze ich das schöne Wetter um meine verschwitzten Fahrradklamotten zu waschen und sie anschließend in der Sonne zu trocknen. Den Vormittag verbringe ich mit Lesen und faul in der Sonne liegen. Nachmittags steht dann 'Sightseeing' auf dem Programm.

Charlieu Charlieu

Charlieu liegt im Nordosten der Ebene von Roanne an den Ausläufern der Berge des Beaujolais im Departement Loire. Die Stadt weist neben einigen rustikalen Fachwerkhäusern als Hauptattraktion auch eine alte Abtei auf. Sie wurde im Jahre 872 von aus der Touraine stammenden Benediktinermönchen gegründet, die ihr den Namen 'Carus locus' (Cher Lieu) gaben. Der 'teure Ort' kam schon sehr bald unter das strenge Regime der Äbte von Cluny. Degradiert zur Priorei wurde sie im Jahre 932 dem übermächtigen Kloster einverleibt. In der Folgezeit entwickelte sich um diesen frommen Hort eine durch regen Handel prosperierende Stadt. Im Hundertjährigen Krieg zerstört, erfolgte im 14. und 15. Jahrhundert der Wiederaufbau der Abtei. Im Verlaufe der Revolution wurde sie dann 1793 dicht gemacht, die letzten drei Insassen vertrieben, und die Gebäude schließlich als 'nationales Eigentum' meistbietend verscherbelt. 1910 gelangte der Kreuzgang in den Besitz eines Antiquitätenhändlers und sollte fortan den Tennisplatz eines amerikanischen Milliardärs zieren. Im letzten Moment wurde diese Transaktion jedoch verhindert und der fix als 'Historisches Monument' eingestufte Kreuzgang konnte gerettet werden.

Kreuzgang Ein Hauch von Geschichte

Am Stadtrand von Charlieu befindet sich zusätzlich noch das aus dem 13. Jahrhundert stammende 'Cloitre des Cordeliers'. Die großartig erhaltenen Bauwerke sind für den Liebhaber gotischer Architektur eine wahre Quelle der Entdeckungen. Es fällt sofort der große Kreuzgang und die einschiffige Kirche aus dem 14. Jahrhundert ins Auge. Ihre Hauptattraktionen sind das sichtbare, zum Teil aus 17. Jahrhundert stammende Gebälk und die Malereien aus dem 14. Jahrhundert. Und über allem weht beständig ein Hauch von Geschichte.

Kloster Ein Hauch von Geschichte

Gegen Abend kehre ich von meiner Exkursion zurück. Es ist schwül, im Westen türmen sich Gewitterwolken. Ich nehme die trockene Wäsche von der Leine und verstaue sie. Zum Abendessen gibt es Fischsuppe aus der Dose an frischen, in Butter gerösteten und mit Knoblauch parfümierten Croutons. Dazu reiche ich mir eine gut gekühlte Flasche 'Rosé' aus dem Kühlschrank der Rezeption. Das Gewitter kommt nur langsam voran und ich genieße den lauen Abend und den kühlen Wein.

Emplacement Ruhe vor dem Sturm

Ich freue mich schon auf die morgige Etappe und gehe sie in Gedanken und an Hand der Karte immer wieder durch. Bei Anbruch der Dunkelheit verziehe ich mich dann in das Superleicht-Minizelt, wo ich, mit mir und der Welt im Einklang, alsbald zufrieden einschlafe.

Irgendwann in der Nacht reißt mich ein mächtiger Donnerschlag aus Morpheus Armen. Grelle Blitze tauchen das Zeltinnere in gleißendes, flackerndes Neonlicht. Es beginnt zu tröpfeln. Zuerst pochen einzelne, dicke Tropfen an die Zeltwand. Doch bald schon wird das Pochen heftiger und schließlich ergießt sich ein sintflutartiger Wasserschwall unter ohrenbetäubenden Getöse, einem nicht enden wollenden Trommelwirbel gleich, über mein kleines Zelt. Es wird ungemütlich. Die dünne Zelthaut ist dem gewaltigen Wasserandrang nicht gewachsen und offenbart ihre poröse Struktur in Form von feinsten Wasserstrahlen, die aus allen Richtungen auf mich einpinkeln. Schlaftrunken versuche ich zunächst noch eine Weile die unerfreuliche Situation einfach zu ignorieren. Es will mir nicht so recht gelingen. Da kommt mir der leerstehende Campingwagen in den Sinn. Hastig befreie ich mich aus dem engen Schlafsack, ergreife noch schnell ein paar Kleidungsstücke und dann überstürzt die Flucht. Völlig durchnässt erreiche ich den nur wenige Meter entfernten Unterschlupf, finde die Tür unverschlossen und bringe mich vor Poseidons Zorn in Sicherheit. Ja, es kann nur Poseidon sein, der mich so hartnäckig verfolgt wie einst Odysseus, nur er verfügt über soviel Wasser. Angesichts dieser himmlischen Sturzflut scheinen mir die Befürchtungen von Asterix und seinen Kumpanen, der Himmel könne ihnen eines Tages auf den Kopf fallen, nur allzu berechtigt. Beim Teutates! Ich beginne sie zu verstehen. An Schlafen ist nun nicht mehr zu denken. Ausgestreckt auf einer harten Sitzbank, eingehüllt in den feuchten Superleicht-Schlafsack, der die inzwischen aufkommende Kälte nur ungenügend zurückweist, döse ich fröstelnd dem heraufziehenden Morgen entgegen.

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