1. Etappe, von Garching nach Biessenhofen

Samstag 24.5.86

Garching bei München, es ist noch sehr früh am Morgen. Während ich meinen Kaffee schlürfe blicke immer wieder besorgt aus dem Fenster. Was sich da draußen abspielt will mir gar nicht gefallen. Aus Westen zieht beunruhigend schnell eine grauschwarze Wolkenfront heran. Das sieht schon sehr nach Regen aus. Eine nicht gerade ideale Bedingung zum Auftakt meiner dritten großen Fahrradreise! Die unfreundliche Witterung lässt Zweifel aufkommen, ob es nicht besser wäre, mich wieder in mein warmes Bett zu verziehen und den Aufbruch einfach um einen Tag zu verschieben. Doch dann denke ich an all die Vorbereitungen, das Festlegen der Route, die sorgfältige Auswahl des Gepäcks, das Packen der Satteltaschen. Gedanklich bin ich längst schon unterwegs. Den Start jetzt zu verschieben würde mir sehr sehr schwer fallen.
Im Radio kommen gerade Nachrichten, dann der Wetterbericht. Die Prognose ist, was Regen anbelangt, nur mäßig schlecht. Für den Nachmittag wird sogar der Durchzug eines Zwischenhochs angekündigt. Das ist Musik in meinen Ohren. Ich schiebe meine kleinmütigen Bedenken beiseite und breche so gegen 8 Uhr auf.

Kurz vor Dachau überfällt mich ein erster Regenschauer. Ich kann mich gerade noch rechtzeitig unter das überstehende Dach einer Scheune nahe der Straße retten. Das fängt ja gut an! Auf ein Ende des Regens wartend, habe ich jetzt Muße noch einmal über die gewählte Route nachzudenken. Warum ausgerechnet Dachau und nicht zum Beispiel Fürstenfeldbruck? Um diese schwerwiegende Frage zu beantworten, muss ich kurz abschweifen und etwas auf die Streckenplanung eingehen.

Es liegt auf der Hand, dass man während einer Fahrradtour, die sich über 1500 km hinziehen wird, unterwegs nicht dauernd Erkundigungen nach dem richtigen Weg einholen kann. Die Vorstellung, beispielsweise in Oberschleißheim einen Passanten zu fragen: "Bin ich hier richtig nach Bordeaux?", ist grotesk und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Als Antwort wäre bestenfalls ein mitleidiges Achselzucken erwarten. Das macht klar, ohne exakt ausgearbeitete Route geht es nicht. Wie ich dabei vorgegangen bin sei nun kurz in Kochbuchmanier beschrieben.

In einem ersten Schritt nehme man eine große Straßenkarte, am besten eine Europakarte, und verbinde Start und Ziel, hier München und Arcachon, durch eine Gerade. Mittels eines Metermaßes und unter Berücksichtigung des Kartenmaßstabs lässt sich so fürs erste schon mal eine Luftlinienentfernung von etwa 1060 km ermitteln. Nun suche man sich möglichst viele Städte aus, die mehr oder weniger genau auf der eingezeichneten Geraden liegen. Beispielsweise befinden sich entlang der Linie München - Arcachon, unter anderem, Städte wie Landsberg, Meersburg, Winterthur, Biel, Tournus, Vichy, Perigueux, Libourne und Bordeaux. Als nächstes gilt es die Luftliniengerade auch in die Detailkarten, die man auch während der Fahrt benutzen will, zu übertragen. Dies geschieht, der aufmerksame Leser ahnt es bereits, indem man die soeben gefundenen Städte nun in den Detailkarten aufsucht, markiert und wiederum durch eine Gerade miteinander verbindet. Die ideale, das heißt die kürzeste Route ist nun auch in den Detailkarten festgelegt und man weiß jetzt schon ungefähr wo's lang geht. Exemplarisch sei hier der Streckenabschnitt Schweiz erwähnt, wo die Idealroute über die Städte Kreuzlingen, Frauenfeld, Winterthur, Bülach, Suhr, Aarburg, Oensingen, Solothurn, Biel und Neuchâtel führt. Als zweckmäßig erweisen sich Detailkarten im Maßstab 1/200 000. In Deutschland und der Schweiz benutzte ich die roten Generalkarten, in Frankreich die gelben Karten von Michelin.

Der zweite Schritt ist zwar etwas aufwändiger, dafür aber auch wesentlich interessanter, denn nun gilt es die eigentliche Route festzulegen, indem man versucht Straßen zu finden, die möglichst in der Nähe der Ideallinie verlaufen. Es empfiehlt sich jedoch nicht nur nach der kürzesten Strecke zu suchen, sondern auch Gesichtspunkte wie Verkehrsdichte und Steigungen, sowie landschaftliche und kulturelle Sehenswürdigkeiten in die Überlegungen mit einzubeziehen. Ebenso ist es ratsam die Nähe von Großstädten zu meiden und sie möglichst weiträumig zu umgehen, es sei denn man will da unbedingt hinein. Auch das Vorhandensein von Campingplätzen ist für den passionierten Camper nicht unwesentlich. So manchen Winterabend habe ich mit dieser kurzweiligen Beschäftigung zugebracht, die Strecke unzählige male in Gedanken abgeradelt, bis diese endlich stand und mit Filzstift in allen acht Detailkarten markiert war. Dafür ist mir nun unterwegs die Entscheidung leicht gemacht und ich weiß fast immer, ohne lange nachdenken zu müssen, wo's nach Bordeaux geht.

Die fundamentale Frage: Dachau oder Fürstenfeldbruck? ist also längst geklärt. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens auf der B471 lasse ich Fürstenfeldbruck links liegen und gebe der wesentlich ruhigeren Variante über Dachau den Vorzug. Als Quintessenz ließe sich vielleicht resümieren: Nach Bordeaux ist es über Dachau zwar nicht näher, aber man schont seine Nerven!

Der Regen hat inzwischen etwas nachgelassen, es tröpfelt nur noch. Ich ziehe mir die Regenhaut über, und ab geht's. Hinter Dachau wird die Gegend zunehmend hügeliger, und an der ersten größeren Steigung in Bergkirchen komme ich in der luftdichten Regenhülle ganz schön ins Schwitzen. Ich passiere so bekannte und aufregende Ortschaften wie Maisach, Mammendorf, Moorenweis, Geltendorf und Finning. Mittlerweile hat es vollends aufgehört zu regnen, und ich bin froh die lästige Plastikhaut wieder einpacken zu können. Das Schmoren im eigenen Saft hat nun endlich ein Ende.

schwaben Im Schwabenland

Bei Reichling überquere ich den Lech. Immer öfter lässt sich nun die Sonne blicken, das Zwischenhoch ist da. Die Welt sieht jetzt gleich viel freundlicher aus. Radfahren macht wieder Spaß. Am späten Nachmittag beginne ich mich nach einem Nachtquartier umzusehen. Da weit und breit kein Campingplatz zu erreichen ist, entscheide ich mich für das Hotel 'Stegmühle' in Biessenhofen. Obwohl der Tag wetterbedingt alles in allem doch recht strapaziös war, bin ich mit dem Auftakt zufrieden. Nach Dusche, Abendessen und einigen Bierchen gehe ich früh schlafen um für den morgigen Tag wieder fit zu sein.

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