5. Etappe, von Zernez zum Lago di Mezzola

Mittwoch, 29. Mai

Die vergangene Nacht war der reinste Horror. Mein superleichter Schlafsack hat total versagt. Er mag wohl für die Tropen geeignet sein, hier, in dieser Höhe, auf 1470 m, und zu dieser Jahreszeit, wäre wohl eher Polarausrüstung angesagt gewesen. Ich habe vor Kälte kaum ein Auge zugetan, an Schlaf war überhaupt nicht zu denken. Die Temperatur in den Morgenstunden dürfte gefühlt nur knapp über dem Gefrierpunkt gelegen haben und die Nähe zum Inn machte sich durch feuchte Nebelschwaden unangenehm bemerkbar. Ich nehme mir fest vor die nächste Nacht auf diese Art von 'Campingfreuden' zu verzichten, verstaue eilig meine klammen Campingutensilien und verlasse fluchtartig das Terrain.

Ich möchte es heute unbedingt bis in die Gegend nördlich des Comer Sees schaffen. Das dürften so an die 100 km werden. Das Gelände läge dort auf rund 200 Metern über dem Meeresspiegel, was meinem Bedürfnis nach Wärme sehr entgegenkommen würde.

Doch zunächst geht es, weiter durch das reizvolle Oberengadin, immer den Inn entlang bis in sein Quellgebiet am Malojapass. Die Straße führt insgesamt leicht aber stetig bergan. Bis zum Malojapass beträgt der Höhenunterschied bezogen auf Zernez gerade mal 350 m, verteilt auf eine Strecke von 50 km. Das Wetter ist sehr wechselhaft.

In St. Moritz überrascht mich ein heftiger Regenschauer vor dem ich mich gerade noch rechtzeitig im überdachten Eingangsbereich eines nahegelegenen Nobelhotels in Sicherheit bringen kann. Es zieht immer wieder Nebel auf. Den Straßenrand säumen zunehmend die schmutzigen Schneereste des vergangenen Winters. Es ist empfindlich kalt geworden.

Über Silvaplana und Sils, vorbei an den gleichnamigen Seen, treffe ich gegen Mittag, völlig unterkühlt, in Maloja (1820 m) ein. Der Pass ist, an seiner Nordseite wenig spektakulär, eigentlich kaum wahrnehmbar. Nach Süden hin stellt er jedoch eine abrupt steil abfallende Rampe dar.

Malojapass Malojapass, endlich, es geht abwärts ...! Vom Winter in den Frühling!

Nun folgt der rasantere Teil der Etappe, eine 32 km lange Abfahrt mit 1482 Höhenmetern hinab ins Bergell und nach Chiavenna in Italien. Das Wetter zeigt sich nun von seiner besseren Seite. Es ist als hätte jemand einen Schalter umgelegt, das graue Wolkeneinerlei weicht beinahe übergangslos einem makellosen Blau. In zahllosen Serpentinen schlängelt sich die gut ausgebaute Straße talwärts und mit jeder Kehre wird es wärmer. Radfahren macht wieder Spaß, auch wenn ich wiederholt anhalten muss um meine vom vielen Bremsen schmerzenden Finger zu entlasten.

Lago di Mezzola Campingplatz 'El Ranchero' mit Blick über den 'Lago di Mezzola'

Am Grenzübergang nach Italien bei Chiavenna komme ich wieder in den Genuss des nur für Radfahrer geltenden Privilegs des lässigen Durchwinkens. Lang lebe das vereinte Europa! Es sind jetzt noch 20 km bis zum Lago di Mezzola. Der Campingplatz dort nennt sich 'El Ranchero', liegt direkt am Nordufer, macht einen gepflegten Eindruck und lädt zum Verweilen ein. Es ist warm, das Wetter ist vielversprechend. Ich schlage mein Zelt direkt am Wasser auf.

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