12. Etappe, von Vence nach Cannes

Sonntag 9. Juni 

Ich habe es nicht eilig. Die heutige, letzte Etappe wird wohl ein Spaziergang werden. Es sind nur noch 40 km bis Cannes. Hinzu kommen dann noch 5 km, in westlicher Richtung die Küste entlang, bis zu meinem heutigen Etappenziel, den Campingplatz 'Park Bellevue' in 'La Bocca', einem Vorort von Cannes. Ich lasse es also ruhig angehen, besorge mir im Campingladen ein frisches Baguette und zwei Croissants und zelebriere ein ausgiebiges Frühstück, das sich so bis 10 Uhr hinzieht. Dann packe ich gemächlich meine 7 Sachen zusammen und mache mich auf den Weg.

Frühstück vor dem Aufbruch 

Nach etwa 5 km erreiche ich 'Tourettes sur Loup', ein mittelalterliches Dorf, dessen pittoreskes Erscheinungsbild sich wunderbar in die grandiose Landschaft ringsum einfügt und zum Verweilen einläd. Ich schlendere, das Fahrrad schiebend, durch die engen, teils schattigen Gassen und genieße die kühle Ausstrahlung der alten Gemäuer. Der Ort wirkt um die Mittagszeit wie ausgestorben. Und dennoch, was so aussieht wie eine Operettenkulisse ist ein bewohntes Dorf. Das touristische Kleinod macht jetzt, zur Vorsaison noch einen ruhigen, beinahe schläfrigen Eindruck. Ich will mir garnicht vorstellen, wie es hier zur Hauptreisezeit aussieht. 

Tourettes s. LoupTourettes sur Loup    (Bildquelle: Google Earth)

Auf verkehrsarmen Straßen geht es dann überwiegend bergab, so dass ich schon am frühen Nachmittag in Cannes eintreffe. Es ist sehr heiß und der Verkehr auf der Croisette ist überwältigend, zehrt an den Nerven. Ich muss da weg! In westlicher Richtung, am Hafen vorbei, gelange ich schließlich zur Küstenstraße, sie nennt sich klangvoll 'Boulvard du Midi Luis Moireaux' und führt mich zwischen Strand und Bahnlinie in den Vorort 'La Bocca'. 

Trotz der Auskunft eines Passanten, der mich mit "à gauche, à droite et tout droit" (links, rechts und geradeaus) in verschiedenen Kombinationen, zu verwirren versuchte, ist es mir gelungen den Campingplatz auf Anhieb zu finden. Das Zelt ist schnell aufgebaut und einem Stadtbummel durch Cannes steht nichts mehr im Wege. Mit dem abgetakelten Fahrrad fliege ich die 5 km zurück zur Croisette, Cannes' mondäner Prachtstraße. 


Auf einem Bouleplatz in der Hafengegend sperre ich das Rad an einem Baum und schaue anschließend einer Gruppe von sechs Spielern beim Kugelwerfen zu. Es geht hoch her, man ist ernsthaft bei der Sache. Auch ich bin fasziniert vom Verlauf des Spiels und gehe voll mit, mache auch schon mal, wenn ich es für angebracht halte, ein paar anerkennende Bemerkungen. Diese werden zunächst etwas zurückhaltend aufgenommen, doch allmählich, so scheint mir, werde ich als Zuschauer akzeptiert. Plötzlich taucht ein kleiner, etwa zehnjähriger Junge auf und redet, aufgeregt gestikulierend auf einen der Spieler ein. Es entsteht ein kurzer, schneller Wortwechsel, von dem ich kein Wort verstehe. Der Angesprochene, nennen wir ihn François, hält inne und überlegt einen Moment, sein Blick wandert von mir zu seinen Mitspielern. Dann wendet er sich an mich: "... voulez m' remplacer un instant? ... j' suis  de retour bientôt". Ob ich ihn kurz vertreten möchte, er sei gleich wieder zurück. Ich fühle mich etwas überrumpelt und geschmeichelt zugleich und antworte leichtsinniger Weise mit ".. mais oui, .. avec plaisir ... je vais faire mon mieux!", wohl wissend, das ich mich bei diesen Profis nur blamieren kann. Dann verabschiedet er sich, eine kurze Entschuldigung abgebend, von seinen Kumpels und macht sich, zusammen mit dem Jungen, eiligst davon. Seine 'Boules' lässt er da, denn er kommt ja bald wieder. 

Ich stelle mich kurz vor und es geht auch gleich zur Sache. Man ist ja mitten im Spiel. Die beiden Mitglieder meiner Mannschaft wollen mich auch sogleich testen, meinen ich sei dran und es gelte die Kugel des Gegners in unmittelbarer Nähe der kleinen roten Zielkugel zu entfernen. Eine ganz normale Situation wie sie in jedem Spiel häufig vorkommt, für mich jedoch eine schier unlösbare Aufgabe! Doch es gibt kein Zurück, da muss ich durch!. 

Ich glaube nicht an Vorsehung, Schicksal oder sonstige Esoterik, aber was nun geschah hat mich doch einigermaßen erstaunt. 

Ziemlich nervös nehme ich eine von François' Kugeln auf, schwinge sie pendelnd einige Male vor und zurück, gehe dabei leicht in die Knie und fokussiere konzentriert das zu treffende Objekt. Dann lasse ich los. Die Kugel beschreibt einen ideale ballistische Bahn und trifft die gegnerische Kugel direkt voll, ohne vorher auf dem Boden aufzukommen. Mit einem lauten "klack" spritzt diese nach hinten davon. Meine Kugel rollt noch eine halbe Umdrehung nach rechts und berührt sanft 'la petite', die kleine rote Kugel. Ein perfekter Wurf! Ich bin total überrascht und erwarte jeden Moment aus meinen Träumen zu erwachen. Doch die anerkennenden Gesten meiner Mitspieler sagen mir,, das war kein Traum! Einer meint sogar ich wäre ein 'bon tireur', ein guter Schütze. Mit gemischten Gefühlen koste ich diesen unerwartet erworbenen Titel noch eine Weile aus, weiß ich doch, dass dieser Zustand nicht lange zu halten sein wird. 

Und es kommt wie es kommen muss. Es wird sehr schnell offenbar, dass ich als 'tireur' doch nicht die Idealbesetzung bin. Ich bin noch fünfmal dran und halte mich, als Debütant, wie ich finde, doch ganz passable. Dann, endlich, bin ich erlöst. Francois ist zurück! Froh, halbwegs gesichtswahrend aus der Geschichte herausgekommen zu sein, sehe ich noch eine Weile beim Boulespiel zu und begebe mich dann, dem Knurren meines Magens nachgebend, auf die Suche nach einem guten Restaurant.


Die Gassen des Hafenviertels sind sehr belebt. An Restaurants besteht hier kein Mangel. Ich studiere die ausgestellten Speisekarten. Die Menge der angebotenen Köstlichkeiten macht die Wahl schwer. In einer kleinen Seitenstraße, der Rue. Meynadier, entdecke ich schließlich ein kleines, gut besuchtes Lokal. Es macht einen guten Eindruck, nennt sich 'Aux Bons Enfants' und wirbt mit gutbürgerlicher provenzalischer Küche. Ich zögere nicht lange und nehme an einem eben freigewordenen kleinen Tisch Platz. Meine Wahl fällt auf ein Menue der mittleren Preisklasse bestehend aus Fischsuppe, Daube und Tarte aux Pommes. Zur Daube gönne ich mir einen kräftigen roten Côte de Provence 'en pichet'.

Etwas später kehre ich, zufrieden und auf's Angenehmste gesättigt, wieder zum Bouleplatz zurück. Mein Rad wartet immer noch an der Platane, an die ich es gefesselt hatte. Das Team um François hat sich inzwischen aufgelöst und ist wohl schon nach Hause gegangen. Gedanklich erbaue ich mich noch ein wenig an meinem spektakulären  Auftritt als 'tireur'. Er gibt mir das Gefühl irgendwie ein bisschen dazu zu gehören. Ich schaue noch eine Weile zu, schwinge mich dann auf's Rad und mache mich auf den Heimweg, zurück zum Campingplatz in La Bocca.

Park Bellevue Magnolienblüte
Camping Parc Bellevue, Magnolienblüte 

Cannes, Hafen Cannes, Hafen

Montag, 10.Juni  bis Freitag 14. Juni

St. Marguerites Ile Sainte Marguerite mit Blick auf das Esterelle Gebirge

Die mir noch verbleibenden vier Tage vergehen wie im Fluge. Ich verbringe sie hauptsächlich auf der Cannes vorgelagerten Insel 'Sainte Marguerite' mit Lesen, Schwimmen und Faulenzen. Die Insel ist von Cannes aus mit einer Personenfähre in 20-minütiger Fahrt zu erreichen. Sie ist eine Oase der Ruhe und der Abgeschiedenheit vom Trubel der Großstadt. Ein Ort der Erbauung, der mir sicher in guter Erinnerung bleiben wird.  Am Freitag begebe ich mich im Morgengrauen zum Bahnhof und trete die Heimreise nach München an. Eine erlebnisreiche Radreise geht zu 

ENDE.

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