11. Etappe, von Limone nach Vence, Teil 1

Mittwoch, 5. Juni 

Mit den Pässen habe ich kein Glück. In meiner Unterkunft sagten mir die Leute vom Personal, nachdem ich von meinem Vorhaben, über den Tender-Pass zu radeln, erzählt habe, dass dies nicht möglich sei. Die Passstraße sei nicht befestigt, der Schotter überwiegend sehr grob und dem sei mein leichtes Tourenrad keinesfalls gewachsen. Meine Erwägung, alternativ den Straßentunnel zu benutzen, stieß auf heftiges Kopfschütteln. Der Tunnel sei zu lang, zu schlecht beleuchtet und bei starkem Verkehr einfach zu gefährlich. Die einzig sinnvolle Möglichkeit, rüber nach Tende zu gelangen, sei die mit dem Zug. Ein Blick in den Fahrplan verriet mir, dass ich früh aufstehen muss. 

Limone, Bahnhof Limone, mit dem Zug durch den Tender-Tunnel

Und so bestieg ich denn heute Morgen um 8:30 für eine kurze Bahnreise von Limone in Italien nach Tende in Frankreich einen pünktlich einfahrenden Zug der Tendabahn. Ausdrücklich gedankt sei hier dem Zugführer, der mir höchst persönlich beim Hochhieven des schwer bepackten Drahtesels behilflich war.

Die Tendabahn ist eine außergewöhnliche Eisenbahnstrecke. Sie verbindet Turin über Cuneo mit Ventimiglia und Nizza. Dabei unterquert sie den Hauptkamm der Seealpen unterhalb des Tenderpasses in einem über 8 Kilometer langen Tunnel. Südlich des Tunnels durchläuft die Bahn den französischen Nationalpark Mercantour und folgt im Wesentlichem dem Tal der Roya, einem Gebirgsfluss, der mit einem Gefälle von rund 1000 m in oft wildromantischen Schluchten zu Tale stürzt und bei Ventimiglia ins Mittelmeer mündet. 

Schlucht der Roya Auf dem Weg nach Ventimiglia, in den Schluchten der Roya 

In Tende herrscht reger Verkehr. Inmitten des geschäftigen Treibens der morgendlichen Rushhour hole ich in einem Straßencafé das mir durch den frühen Aufbruch entgangene Frühstück nach. Ich halte mich nicht lange auf. Dazu fehlt mir die innere Ruhe. Die Aussicht auf die bevorstehende, spektakuläre Abfahrt durch die malerische Schlucht der Roya, hinab nach Ventimiglia und an die Küste, an die Cote d'Azur, ist zu verlockend. 

Und die rasante Talfahrt war denn auch wirklich sensationell, gestaltete sich zu einem Happening der besonderen Art, wenn auch etwas anders als ich es mir gewünscht hatte. Der Grund dafür war der zunehmend dichter werdende Verkehr. Die enge und kurvenreiche Straße erforderte volle Konzentration, so dass die Würdigung der grandiosen Schlucht etwas zu kurz kam. Besonders unangenehm waren dabei die Schwerlaster, deren stinkende, rußige Auspuffgase die Luft in schier unerträglicher Weise verpesteten. 

Am Grenzübergang bei Ventimiglia schenkte man mir nicht die geringste Beachtung und winkte mich einfach durch. Das war an den Grenzstationen nach Österreich, in die Schweiz und nach Italien auch nicht anders, und ich fragte mich, ob das nicht eine besonders perfide Art der Diskriminierung sei. Hat ein Radfahrer etwa nicht das Recht ordentlich durchsucht zu werden, oder sich wenigstens ausweisen zu müssen? (Ha,Ha!) Angesichts der sich in der brütenden Sonne stauenden, automobilen Blechlawine, ließ mein Unmut über diese ignorante Behandlung schnell wieder nach. 

Es ging nun immer die Kuste entlang, nach Menton, zum Cap Ferrat, nach Monte Carlo und nach Nizza. 

Cap Ferrat Am Cap Ferrat

Monte-Carlo, Spielcasino Monte-Carlo, Spielcasino, ... wo man normaler Weise nicht mit dem Fahrrad vorfährt!

In Nizza empfängt mich tosender Großstadtverkehr, doch ich komme gut zurecht und habe zunächst auch keine Probleme mit der Orientierung. Ich umfahre das rechteckige Hafenbecken, treffe schon bald auf die 'Promenade des Anglais'. Ich folge der Prachtstraße bis 'Gagne sur Mer'. Hier verliere ich allmählich die Übersicht über meine Route. Ich suche die Ausfahrt nach Vence und finde sie nicht. Da kommt, wie gerufen, ein flotter Radler daher. Nennen wir ihn François. Er fährt einen Renner und ist extrem schnell unterwegs. Durch Gestikulieren gelingt es mir dennoch ihn zum Anhalten zu bringen. Ich frage ihn nach dem Weg. Er denkt kurz nach und meint dann, das Beste wäre ihm zu folgen. 

Was nun geschieht ist für mich ein Crashkurs in kreativem Radfahren zu Stoßverkehrszeiten. François ist Profi und kennt natürlich die Stadt wie seine Westentasche. Er weiß eine Menge Schleichwege und will sie mir offenbar alle zeigen. Verkehrsregeln scheint er für bloße Empfehlungen, für gut gemeinte Vorschläge zu halten, die man aber weiter nicht beachten müsse. Verkehrsampeln sind da bestenfalls nur mäßig interessante Lichtspiele. Er fährt ziemlich schnell, mehrere Male bei rot über die Kreuzung und in Gegenrichtung durch Einbahnstraßen. Und ich, ohne lange zu überlegen und bestrebt unbedingt dran zu bleiben, immer hinterher! Nur nicht abreißen lassen, koste es was es wolle! Was beispiels­weise in München zu einem Aufstand der Gerechten, oder zumindest zu heftigen Hupkonzerten geführt hätte, wird hier anscheinend einfach hingenommen. Schließlich, an einer Kreuzung mit Wegweiser in Richtung Vence, trennen sich unsere Wege. François winkt mir noch kurz zu, deutet in die Richtung in die ich fahren solle, und weg ist er. 

Ich muss erst einmal verschnaufen und brauche eine ganze Weile um mich von diesem Teufelsritt zu erholen. Bis Vence waren es jetzt noch etwa 10 km auf der D2 bei einem Höhenunterschied von rund 300 Metern. Letztere machten mir ziemlich zu schaffen, hatte ich doch seit Tende gut 110 km in den Beinen. Der Campingplatz 'La Bergerie' in Vence war schnell gefunden. Am frühen Abend traf ich dort ein. Rainer und Uschi, die hier ihren Campingurlaub verbrachten, erwarteten mich bereits. Wir hatten verabredet, uns hier und heute so gegen 18 Uhr zu treffen. Es war jetzt 18 Uhr 30. Pünktlichkeit ist keine Hexerei!

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